Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
Missionar wusste längst, dass er einen Mörder gesund gepflegt hatte? Es gab keinen Weg, eine Antwort auf diese Frage zu erhalten.
Eine weitere Woche lang lief Gregory vorsichtig durch die Hütte, machte seine ersten Ausflüge in die Sonne und erledigte kleine Besorgungen für Marsden. Aus einem gerade gewachsenen, kräftigen Ast hatte er sich einen Gehstock geschnitzt, an den er sich schnell gewöhnte. Aber beiden Männern war klar, dass ihre Gemeinschaft nicht mehr lange dauern konnte.
»Wann werdet Ihr gehen?«, fragte der Missionar schließlich ohne Umschweife. Sie saßen auf ihren Stühlen am Tisch bei einer Tasse des Kräutertees, der hier viel getrunken wurde. »Es sind bald drei Wochen, dass Ihr hier bei mir aufgetaucht seid – und ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihr jetzt für den Rest Eurer Tage mir Gesellschaft leisten wollt.«
Gregory lachte. »Keine Sorge, ich werde Euch schon bald nicht mehr belästigen. Ich habe Eure Gastfreundschaft schon viel zu lange ausgenutzt, dafür gebührt Euch mein ewiger Dank. Leider fehlt mir die Unterkunft, und da mein Schiff einfach ohne mich abgesegelt ist, fehlt mir auch alles Weitere …«
Mit einem leisen Ächzen erhob sich Marsden, ging an seinen Schrank und brachte einen dunkelbraunen Seesack zum Vorschein, den Gregory sofort erkannte. »Diesen hier hat Euer Kapitän für Euch hinterlassen. Ich habe ihn nur bisher nicht hervorgeholt, weil ich wollte, dass Ihr Euch erst einmal erholt, bevor Ihr wieder weiterzieht. Aber ich denke, Ihr findet alles darin, was Ihr benötigt.«
Dankbar griff Gregory nach dem vertrauten Stück, öffnete die Verschnürung und untersuchte den Inhalt. Tatsächlich war alles vorhanden. Hosen, Hemden, ein Halstuch und vor allem die kleine Lederbörse, in der er den Sold von fast zwei Jahren gesammelt hatte. Dieses Geld hatte er in den letzten Tagen bereits verloren gegeben. Er sah den Missionar dankbar an. »Tatsächlich ermöglichen mir diese Dinge, dass ich weiter meinen Plan verfolgen kann. Ihr werdet sicher schon gemerkt haben, dass ich meiner Zeit als Soldat nicht allzu betrübt hinterherweine …«
»Das habe ich an Euren ersten Worten bereits gemerkt. Schade, denn ich bin der Meinung, die britische Krone sollte sich wirklich um Neuseeland kümmern. Dieses Land braucht eine starke Hand, damit Männer wie dieser Ardroy in ihre Grenzen verwiesen werden. Er und andere dürfen hier ihrem gesetzlosen Treiben nachgehen, ohne dass sie auch nur das Mindeste befürchten müssten. Doch wenn wir Gesetze und Soldaten haben, die auch für die Einhaltung der Gesetze sorgen, dann wird aus unserem Neuseeland eine blühende Kolonie, da bin ich mir sicher. Aber ich habe Euch unterbrochen: Was sind denn Eure Pläne?« Er sah Gregory neugierig an. »Ihr werdet doch wohl kaum hier in Kororareka bleiben wollen?«
»Nein«, schüttelte sein Gast den Kopf. »Ich muss jemanden finden. Eine Frau. Sie ist unter schlimmen Umständen hierhergekommen, aber ich habe erfahren, dass ihr die Flucht gelungen ist. Vielleicht habt Ihr von ihr gehört? Ihr Name ist Anne Courtenay.«
Überrascht sah ihn der Missionar an. »Natürlich kenne ich Anne! Sie war häufig hier bei mir, hat mir ihre Geschichte erzählt. Ich wäre allerdings niemals auf den Gedanken gekommen, dass Ihr der Gregory aus ihren Erzählungen sein könntet. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann seid Ihr ein netter Junge aus einer reichen Familie, der nie und nimmer seinen Luxus und sein schönes Leben aufgeben würde …«
»Anne scheint keine allzu hohe Meinung von mir zu haben«, versuchte Gregory einen Scherz. »Deswegen dachte ich mir, ich segele ihr um die halbe Welt nach und zeige ihr mal, dass ich ein echter Kerl bin – und nicht nur der verwöhnte Junge, mit dem sie in einer anderen Zeit verlobt war.«
Mit schief gelegtem Kopf runzelte Marsden die Stirn. »Mehr und mehr fällt es mir schwer zu glauben, dass Eure Wunde nichts mit Ardroy zu tun hat. Nicht nur, dass er generell ein unangenehmer Zeitgenosse ist – aber er hat Eure Anne unter dem Vorwand, sie heiraten zu wollen, hierhergelockt. Und sie dann als leichtes Mädchen in eines der Hurenhäuser verkauft. Und das wusstet Ihr. Es kann also nicht sein, dass Ihr in einen Streit mit Ardroy geraten seid? Wenn ich eine Frau wie Anne an einen Verbrecher wie Ardroy verlieren würde – dann wäre dieser Mann ganz bestimmt nicht sicher vor mir …«
»Es war ein Unfall«, entfuhr es Gregory. Er biss sich auf die Lippen. Er
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