Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
Ihre Ränder sahen flammend rot aus, aus der Wunde selbst sickerte eine gelbliche Flüssigkeit. Der Missionar schüttelte den Kopf. »Da wird es kaum reichen, wenn ich das ein wenig mit heißem Wasser reinige. Ich gehe und hole Hilfe. Versucht ein wenig zu schlafen, bis ich wieder zurück bin.«
Gregory nickte nur und schloss die Augen. Er spürte wie ihn seine Kräfte schneller verließen, als ihm lieb war. Er konnte später nicht sagen, wie lange er so dahingedämmert war, bis Marsden mit einer gebeugten alten Frau mit langem grauem Haar an seiner Pritsche auftauchte. Sie warf nur einen Blick auf das Bein, dann griff sie in ihre Tasche und förderte ein Bündel an vertrocknet aussehenden Zweigen zutage. Dazu ein Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit, das sie ihm ohne Umschweife an die Lippen hielt und ihn mit ein paar Handbewegungen dazu aufforderte, doch zu trinken. Er gehorchte – und nahm von dieser Sekunde an alles nur noch verschwommen wahr: Die Alte, die ein scharf aussehendes kleines Messer über eine kleine Flamme hielt. Sich dann seinem Bein mit diesem Messer näherte – täuschte er sich, oder glühte die Klinge noch? Und schließlich der schneidende, gleißende Schmerz, als sie ihm in die Wunde schnitt, sie noch größer machte. Gregory schrie auf und fiel in eine gnädige, tiefe Bewusstlosigkeit.
KORORAREKA, 1832
19.
Seine Augenlider flatterten. Eine Gestalt neben ihm bewegte sich, legte ihm eine Hand in den Nacken, stützte ihn, er spürte den Rand eines Bechers an seinen Lippen und trank gierig. Er wollte fragen, wo er eigentlich war – aber dann schlossen sich seine Augen wieder, und er sank erneut in einen tiefen Schlaf.
Als er das zweite Mal erwachte, konnte er klarer sehen. Den einfachen Raum mit dem Tisch, den Stühlen und dem Regal mit den Büchern – und er selber auf einem schmalen Bett an der Wand. Auf einem Schemel eine Frau, die ihn aus ihren dunklen Augen unverwandt ansah und zufrieden nickte, als er sich bemühte, sich etwas aufzurichten.
Sie drehte sich zu dem massigen Mann um, der hinter ihr stand. »Er wird es schaffen. Ich habe mich geirrt, als ich ihn verloren geben wollte. Ein Kämpfer, dieser Soldat …«
»Wo …«, begann Gregory. Doch die Frau legte einen Finger an ihre Lippen. »Schhh. Du musst dich jetzt erholen. Hier bist du sicher, deine Freunde nehmen dich auch nicht mehr mit in einen Krieg.«
»Meine Freunde? Nehmen mich nicht mit?« Jetzt versuchte Gregory endgültig, sich in seinem Bett aufzurichten. Immerhin konnte er sich auf seinem Ellbogen abstützen. Er sah die Frau fragend an. »Was soll das heißen, dass meine Freunde mich nicht mitnehmen? Wo bin ich überhaupt?«
Der Mann, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, trat jetzt nach vorne. »Ihr seid mein Gast. Ich heiße Samuel Marsden, ich bin hier in Kororareka Missionar. Vor etwas mehr als einer Woche klopftet Ihr an meine Tür. Zum Glück konnte ich die alte Mairi dazu überreden, zu mir zu kommen. Sie hat den Wundbrand aus Eurem Oberschenkel geschnitten – aber ein paar Tage lang sah es nicht so aus, als ob Ihr überleben würdet. In dieser Zeit ist Euer Kapitän hier bei mir aufgetaucht. Wollte wissen, ob Ihr transportfähig seid, wieder einsatzfähig würdet. Beides musste ich verneinen – und dann ist Euer Schiff ohne Euch aus der Bucht gesegelt. Er meinte, er würde Nachricht hinterlassen, dass das nächste Schiff Seiner Majestät Euch wieder an Bord nehmen würde. Man wollte Master Busby schließlich nicht ewig hier in Neuseeland lassen. Was eigentlich schade ist, viele von uns hatten gehofft, dass sich die Krone hier dauerhaft zeigen würde.«
Gregory hob abwehrend die Hand. Sein benebelter Verstand ließ in diesem Augenblick keine politische Diskussion zu. Viel drängender war die andere Frage. »Das heißt, die Mercury ist schon weg? Ohne mich?«
Tröstend legte ihm der Missionar die Hand auf die Schulter. »Die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr wieder genesen würdet, war gering. Welchen Sinn machte es da für Euren Kapitän, auf Euch zu warten? Er schien mir sehr begierig darauf, endlich wieder die Segel in Richtung Heimat setzen zu dürfen.«
Gregory schloss die Augen wieder. Wie lange hatte er darüber nachgedacht, mit welchem Trick oder welcher Unwahrheit er sich von seinem Schiff davonstehlen könnte, ohne als Fahnenflüchtiger gesucht zu werden? Und jetzt hatte ihm das Schicksal einen so einfachen Weg gezeigt. Er musste Anne finden, sein Zurückbleiben hier in
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