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Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Titel: Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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auch rannte.
    Irgendwann musste ihn der Schlaf übermannt haben – denn als er das nächste Mal die Augen aufschlug, strahlte ihm die Sonne ins Gesicht, und am Strand herrschte die Betriebsamkeit eines frühen Morgens. Seeleute, die noch an diesem Tag wieder lossegeln wollten, liefen laut rufend umher und ließen die letzten Vorräte an Bord bringen. Andere wanderten ziellos herum, ihr unsteter Blick zeigte, dass sie in der vorhergehenden Nacht mindestens ein Bier zu viel getrunken hatten. Gregory schloss stöhnend die Augen. Bis ihm einen Wimpernschlag später einfiel, was an diesem Strand in der Nacht geschehen war.
    Er riss die Augen auf und ließ seinen Blick suchend über den Strand gleiten. War Ardroy irgendwo wieder angespült worden? Gregory kannte die Strömungen in dieser Bucht nicht, hatte keine Ahnung, ob sie hinaus ins offene Meer führten oder nur parallel zum Ufer liefen. Doch er konnte nirgendwo einen leblosen Körper oder eine Ansammlung neugieriger Menschen erkennen. Mit einem leisen Seufzer schloss er die Augen wieder. Vielleicht hatte er Glück gehabt. Die Szenen, die sich hier im Mondlicht der letzten Nacht abgespielt hatten, erschienen auch ihm fast schon unwirklich.
    Das beharrliche Pochen in seinem Oberschenkel wirkte da schon sehr viel realer. Vorsichtig sah er nach unten und untersuchte den Schaden, den Ardroys scharfes Messer angerichtet hatte. Der Stich war an der Innenseite des Schenkels, relativ weit oben. Nicht viel, und der Mann hätte dafür gesorgt, dass Gregory für immer ohne Nachkommen geblieben wäre.
    Vorsichtig untersuchte Gregory die Wunde durch den Schnitt in seiner Hose. Die Ränder waren schon dick angeschwollen, die leichte Berührung seiner Finger ließ Gregory scharf die Luft zwischen den Zähnen einsaugen. Er brauchte Hilfe, keine Frage. Aber wer in Kororareka würde wohl einem Seemann mit einer klaffenden, eiternden Wunde am Bein helfen? Mühsam erhob er sich und hinkte langsam zurück zur Hauptstraße. Noch waren hier nicht viele Menschen unterwegs – und die wenigen redeten zu seiner Beruhigung nicht über das plötzliche Verschwinden des Nathan Ardroy.
    Er wandte sich an den ersten Mann mit einem vertrauenswürdigen Gesicht, der ihm entgegenkam.
    »Könnt Ihr mir sagen, ob es hier einen Bader gibt? Oder einen anderen Heilkundigen, der mir helfen kann?«
    Der Angesprochene dachte kurz nach und hob dann entschuldigend die Hände. »Ich glaube nicht. Vielleicht weiß einer der Missionare Rat, Samuel Marsden hat Kontakte zu fast allen Menschen hier in der Gegend. Er kann Euch womöglich weiterhel…«
    »Wo finde ich den Mann?« Gregory spürte, wie sich kalter Schweiß auf seiner Oberlippe sammelte und es ihm vor den Augen flimmerte. Der Eiter aus der Wunde breitete sich schneller in seinem Körper aus, als er es für möglich gehalten hatte.
    Der Mann deutete in die Richtung von ein paar Hütten, die am Ortsrand zusammengedrängt standen. »Die Letzte gehört Marsden. Aber ich kann Euch keine große Hoffnung machen …«
    »Danke. Ich versuche trotzdem mein Glück«, nickte Gregory und hinkte in die Richtung, in die der Mann gedeutet hatte. Es schien ihm, dass er erst eine Ewigkeit später an die Tür klopfte. Die Tür öffnete sich, und er sah sich einem massigen Mann gegenüber, der ihn prüfend musterte.
    »Ein englischer Soldat«, stellte er schließlich fest und bedeutete ihm einzutreten. »Auf diesen Anblick habe ich in diesem Ort lange gewartet.«
    »Und doch wird es weiterhin lange dauern, bis die englischen Soldaten hier die Interessen der Krone vertreten«, erklärte Gregory. »Ich fürchte, jetzt benötige ich erst einmal Eure Hilfe. Ich wurde verletzt, die Wunde hat sich entzündet, und ich suche einen Heilkundigen.«
    Marsden schüttelte den Kopf. »Mit Heilkunde kann ich nicht dienen. Nur mit Gebeten. Aber setzt Euch doch.«
    Eine Aufforderung, der Gregory zu gern nachkam. Er ließ sich auf einen der Stühle fallen und wartete, bis sich sein rasendes Herz etwas beruhigt hatte. Marsden betrachtete ihn mit ernster Miene.
    »Zeigt mir die Wunde, Soldat. Vielleicht habe ich doch etwas in meiner kleinen Hausapotheke, mit dem ich hilfreich sein kann. Aber macht Euch nicht zu große Hoffnungen.« Marsden deutete auf eine schmale Liege an der Wand, die mit einer Wolldecke verhüllt war.
    Bereitwillig hüpfte Gregory die wenigen Schritte zur Liege, nestelte an seiner Hose und zog sie so weit nach unten, dass die Wunde zum ersten Mal deutlich sichtbar war.

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