Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
wollte von dieser Nacht nicht reden, niemals.
Den Schotten schien diese Antwort allerdings nicht zu überraschen. Er nickte nur. »Das müsst Ihr mit Euch und Eurem Gewissen selber ausmachen. Die Welt ist ohne Ardroy sicher nicht ärmer, aber unser Herr spricht: ›Mein ist die Rache!‹ Wenn es Euch hilft, dann kann ich Euch die Beichte abnehmen.«
Aus irgendeinem Grund hatte Gregory damit gerechnet, dass sich die Tore der Hölle öffnen würden, wenn er sein Verbrechen zugab. Oder dass der Missionar wenigstens das Fegefeuer für ihn heraufbeschwören würde. Er war verwirrt und bekam fast nicht mit, dass der Schotte ihn interessiert ansah: »Was sind jetzt Eure Pläne?«
Gregory zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Ich werde nicht ruhen, bis ich Anne finde und sehen kann, ob es ihr gut geht. Aber ich habe keine Ahnung, wo ich sie finden kann.«
»Im Süden«, erklärte Marsden so selbstverständlich, als hätte Gregory ihn nach der Farbe des Himmels gefragt. »Ein sehr anständiger und nobler Mann hat sich in sie verliebt und ihr zur Flucht verholfen. Er hat aus ihr eine ehrbare Frau gemacht und sie geheiratet – das weiß ich, ich bin derjenige, der diesen Bund der Ehe höchstselbst gestiftet und geschlossen hat. Und dann haben die beiden die Segel in Richtung Süden gesetzt, um sich ein neues Leben aufzubauen. Jeden Abend schließe ich sie in meine Gebete ein und hoffe, dass sie ihr Glück gefunden haben.« Er hob entschuldigend die Hände. »Ihr könnt Eure noble Suche nach Anne jetzt einstellen, denn die Ehe ist eine heilige Angelegenheit und sollte von niemandem gefährdet werden. Ihr könnt nur Unruhe stiften, wenn Ihr plötzlich bei dem Paar auftaucht.«
Gregory konnte nicht fassen, was der Mann, der ihn seit Tagen wie einen Freund aufgenommen hatte, da so einfach sagte. Anne verheiratet? Immer noch in Neuseeland?
»Ihr seid Euch sicher, dass sie jetzt glücklich ist?«, fragte er nach.
»Unbedingt!«, bekundete Marsden und nickte dabei, um seinen eigenen Worten noch mehr Gewicht zu verleihen. »Und sie tat gut daran. Mit dieser Ehe kann sie den letzten beiden Jahren ihres Lebens entfliehen und ein neues Kapitel aufschlagen. Ich bin mir sicher, sie wird in ihrem Leben als Ehefrau aufblühen.«
Süden also. Da, wo Neuseeland noch unbesiedelt und jungfräulich auf die Menschen wartete, die sich niederlassen wollten. Gregory nahm sich fest vor, Anne zu suchen – trotz der Beteuerungen von Annes Glück wollte er sich mit eigenen Augen davon überzeugen. Es konnte immerhin sein, dass sie diesen Mann nur geheiratet hatte, weil er im Gegensatz zu ihrem Dasein in einem Hurenhaus das wesentlich kleinere Übel bedeutete. Und wenn das der Fall war, dann würde er, Gregory, sich ganz sicher nicht von einem kirchlichen Schwur davon abhalten lassen, Anne doch noch zu dem Glück zu verhelfen, das sie verdient hatte.
Marsden sah ihn an. »Ihr versprecht mir also, Anne in Frieden und in ihrem neuen Glück zu lassen?«
Gregory griff mit der einen Hand nach seinem Gehstock und mit der anderen nach dem Seesack. »Ganz sicher werde ich nicht an ihr Glück rühren.« Er machte eine Pause, bevor er fortfuhr. »So es denn echt ist und aus tiefstem Herzen von ihr empfunden wird.«
Noch bevor Marsden ihm widersprechen oder ihn an seinem Aufbruch hindern konnte, erhob er sich und humpelte zur Tür. Mit dem Knauf in der Hand drehte er sich noch einmal um. »Und besten Dank für Eure Hilfe. Ihr habt mein Leben gerettet und Annes Leben aus dem größten Unglück geholt. Aber verzeiht, wenn ich es jetzt mit eigenen Augen sehen will.«
Der Missionar nickte. »Wenn ich eine Frau wie Anne dazu gebracht hätte, mich zu lieben, würde ich mich auch nicht durch die Worte eines alternden Missionars davon abbringen lassen, nach ihr zu sehen.« Er lächelte und hob eine Hand. »Meinen Segen habt Ihr. Bestellt ihr meine Grüße und sagt ihr, dass ich ihre Gesellschaft und die Gespräche mit ihr vermisse.«
Mit einem letzten Winken verabschiedete sich Gregory endgültig. Schwer stützte er sich auf seinen Gehstock, als er die Straße hinunterging. Nach Süden also. Er würde sicher sofort spüren, ob seine Anne glücklich war …
TEIL III
KORORAREKA, 1832
20.
Anne schloss die Augen und genoss die Wärme der Sonne auf ihrem Gesicht. Eine leichte Brise strich ihr die Haare aus der Stirn, es fühlte sich an wie der perfekte Frieden. Im Hintergrund bellten sich die Matrosen irgendwelche Befehle zu. Sie machte sich nicht
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