Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
es auch mit meinem ersten Engagement am Potsdamer Hans-Otto-Theater.
Wer in den sechziger Jahren dort beschäftigt gewesen war, bespielte oder leitete später die Berliner Theater. Es galt als Experimentiertheater und Sprungbrett, das heißt, auch Neulinge bekamen die Chance zu inszenieren. Thomas Langhoff, Siegfried Höchst, Jürgen Gosch waren Schauspieler, keine Regisseure, aber sie durften Regie führen. So ein Experiment hätte dumm ausgehen können, doch in den meisten Fällen krönte Erfolg diese Versuche. Auch wurden Rollen häufig gegen den Strich gebürstet besetzt. Jeder und jede spielte alles. Die Minna hätte ich an keinem anderen Theater spielen können, weil ich nicht dem Typ entspreche. In Potsdam spielte ich sie, mit Thomas Langhoff als Tellheim.
Intendant war Gerhard Meyer, einer der fähigsten der DDR . Ein Theatermann sagte 1995 in einer Rede zu Meyers 80. Geburtstag: »Du warst freundlich wie ein Vater, listig wie ein Fuchs, störrisch wie ein Esel, spaßig wie ein Clown, weich wie Samt und hart wie Eisen.«
Besser kann ich es auch nicht sagen, und an dieser Stelle lege ich eine Gedenkminute für ihn ein. Damals war er um die Fünfzig und für mich – wie Papa Wieland an der Filmhochschule – wie der Vater, nach dem ich mich immer gesehnt hatte. Um nicht allzu naiv zu erscheinen, dachte ich mir wilde Geschichten aus von einem tollen Freund, den ich in Berlin hatte, mit dem ich interessante Reisen machte. Als ich einmal zu spät zur Probe kam, entschuldigte ich mich, mein Motorroller sei unterwegs kaputt gegangen. Damals träumte ich noch von einem Motorroller. Meyer nahm solche Geschichten gelassen hin, schwieg und durchschaute mich. Er sagte mal: »Komm zu mir, wenn dich was drückt.« Ich wusste damals noch nicht, was alles hätte drücken und wobei er mir hätte helfen können, aber seine Worte taten mir gut. Er setzte große Erwartungen in mich, und welche Tochter enttäuscht schon gern den geliebten Vater, auch wenn er ein Theatervater ist? Schade, dass ich ihn nur kurze Zeit erleben durfte, er ging 1966 nach Karl-Marx-Stadt.
Meyer nannte man den Talentefischer. Er förderte junge Talente, und deren Namen haben einen guten Klang: Peter Kupke, Fritz Marquardt, Thomas Langhoff, Siegfried Höchst für Regie, Jutta Wachowiak, Heide Kipp, Arno Wyzniewski, Günter Junghans für das Schauspiel in Potsdam. Chemnitz bzw. Karl-Marx-Stadt wurde seine zweite Talenteschmiede mit Cornelia Schmaus, Ursula Karusseit, Ulrich Mühe, Uwe Kockisch, Michael Gwisdek, Jürgen Hentsch.
Ich glaube, er war es auch, der Frank Castorf rettete, als der 1984 in Anklam als Oberspielleiter rausflog, weil seine Trommeln in der Nacht einigen in irgendeiner SED -Kreisleitung nicht passten.
»Ihr müsst alles geben – auch wenn ihr nur auf einer Parteiversammlung ein Kampflied singen sollt. Bitte, immer mit voller Kraft, denn ihr werdet gesehen, ihr werdet bewertet, ihr müsst überzeugen. Das gilt für Operette, Märchen, die Klassiker, Gegenwartsdramatik gleichermaßen.« So sein Credo, für das wir lebten.
Gerhard Meyer starb 2002, er wurde 87 Jahre alt. Daran kann man sehen, dass Theater jung hält. »Stunk hält jung« war einer seiner Sprüche.
Bei meinen kleinen Gastrollen als Schauspielstudentin hatte ich ihn in der Arbeit erlebt, aber meine besondere Meyer-Stunde schlug beim Intendantenvorspiel. Das ist der große Verkaufstag der Schauspiel-Studenten, die Engagements-Börse, bei dem Theaterleiter aus dem ganzen Land im Saal sitzen. Wir Studenten nannten das Fleischmarkt.
Um dabei zu brillieren, suchte man sich aus den in vier Studienjahren erarbeiteten Rollen die attraktivsten aus, den Feinschliff besorgte man mit seinem Mentor. Ich hatte etwas Ernstes von Hauptmann gewählt, dann die Heilige Johanna, die entsprach meinem Typ, und eine Hosenrolle, die Victoria Balance aus Pauken und Trompeten . Ich spielte an diesem Tag ziemlich gelassen vor. Meyer hatte mich nämlich zuvor beiseitegenommen und gesagt: »Schnupsi, du kommst zu mir. Gib mir den Handschlag, das ist wie ein Vertrag.«
Warum er mich Schnupsi nannte, blieb sein Geheimnis. Ich vertraute ihm, schlug ein, Angebote vom Landestheater Halle und der Volksbühne aus. Und das war gut so.
Aus dem Handschlag wurde im Dezember 1965 ein Vertrag, ab dem darauffolgenden August war ich festes Ensemblemitglied des Hans-Otto-Theaters Potsdam für das Kunstfach Schauspiel und Operette und das Aufgabengebiet Schauspielerin nach Individualität. Das monatliche
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