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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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gewünschten Richtung, plapperte jeden Morgen am offenen Fenster blabliblablablablu.
    Hatten unsere »Männer« keine Lust auf Sprecherziehung, baten sie mich: »He, Kleene, kannst du nicht mal einen Fehler erfinden, damit du eine Einzelstunde bekommst und wir frei haben? Meine Freundin kommt Freitag zu Besuch.« Da erfand ich, v und w nicht ordentlich auszusprechen. Frau Konrad-Gäbel, ihr Mann war unser Fechtlehrer, war entsetzt, weil ich w wie v aussprach und umgekehrt. Das übte sie allein mit mir. Am Ende des Studienjahres wurde mir enormer Fleiß bescheinigt. Und von den »Männern« bekam ich was Schönes aus dem Konsum als Dank.
    Frau Konrad-Gäbel war eine sachliche, ernste, rationale Frau mit hohen Anforderungen. Ich habe heute noch ihren Spruch im Ohr: »Wenn du hier rausgehst, meine Liebe, musst du brüllen können wie ein Tiger, heulen wie ein Schlosshund, wispern wie eine Zauberin, singen und Texte sprechen, dass ein Heiratsantrag folgt, sonst war’s nix.«
    Im Fach Diktion ging es mit ihr durch die Weltliteratur. Wir interpretierten Texte, Gedichte, Balladen, untersuchten das Versmaß, bekamen Beispiele großer Mimen vorgespielt. Verse sind nicht langweilig, sondern darin stecken Geschichten, vermittelte uns Frau Konrad-Gäbel, und sie bot uns Brecht als »das große Fressen«, vom kleinen Reim bis zum großen Poem.
    Am Ende des Studiums spielte sie jedem von uns vom Tonband vor, was er beim Vorsprechen im ersten Jahr geboten hatte. Das waren die komischsten Nummern des ganzen Studiums. Ich hatte Die Fragen eines lesenden Arbeiters gewählt, und das hörte sich so an:
    »We baute dis siebntürige theb
    In den büchan stehn die nam von könign ...«
    und so weiter.
    Damals haben wir darüber sehr gelacht. Heute sind auf vielen Bühnen die Endsilbn ja häufg verschwundn, nich? Zuschauer mit einem Hörproblem, die weiter hinten sitzen, haben eben Pech.
    Bereichernd waren die Begegnungen mit Studenten der anderen Fakultäten, wie Regie, Dramaturgie, Kamera, Produktion. Wir wurden in die Filmarbeit einbezogen, lernten unsere zukünftigen Regisseure kennen, sie die kommenden Schauspieler. Die Dozenten kannten uns alle, denn sie unterrichteten in den Grundfächern, so konnten wir mit ihnen über jeden Fachbereich diskutieren.
    In der Kantine der Schule wurden internationale Filme gezeigt, die nicht in unseren Kinos liefen: Antonioni, Fellini, Visconti. Ich ließ möglichst keine Vorführung aus. Es war eng wie in einer Sardinenbüchse, wir hockten auf der Erde dicht vor der Leinwand, Hauptsache, wir durften die Filme sehen. Ich weiß noch, wie ich bei La Strada gar nicht mehr aufhören konnte zu heulen.
    In Potsdam besuchte ich die Abendschule, um das Abi zu machen. Wurde es zu spät zum Heimfahren, konnte ich im Internat der Schule übernachten. Oben, in den besseren Zimmern, wohnten die älteren Semester wie Jutta Wachowiak und Hannelore Tellocke, unten Petra Kelling, Ute Boeden, die spätere Frau von Herbert Köfer, und andere. Ich hatte eine kleine Kammer, und im ersten Jahr überprüfte eine Frau von der Jugendhilfe durch Stippvisiten, ob ich pünktlich und nüchtern im Bett lag. Das fand ich ziemlich doof, wurde ich doch wieder nicht als Frau akzeptiert.
    Ich hatte immer noch keinen nennenswerten Busen und war Jungfrau. Einmal bat mich ein Dozent zu einem Gespräch auf die Probebühne, er wolle etwas mit mir probieren, weil ich doch so begabt sei. Aber kaum stand ich vor ihm, riss er mich an sich und mit einem Ratsch die Bluse auf, so dass alle Knöpfe umherkullerten. Ich hab sie nicht mal aufgesammelt, so schnell war ich weg.
    Mir erging es wie schon in der Oberschule, viele der Jungen mochten mich als guten Kumpel. Hab auch mein Zimmer für 5 Mark die Stunde oder eine Schachtel Zigaretten, Marke Juwel, vermietet und Schmiere gestanden, wenn zwei miteinander schlafen wollten. Wichtig zu sein und gebraucht zu werden fand ich ziemlich aufregend.
    Wolfgang Winkler – er spielte Jahrzehnte später mit Jaecki Schwarz im Polizeiruf – passte auf mich auf wie ein großer Bruder. Er bürgte als Seminargruppensekretär für mich, nachdem ich das zweite Mal durch die Prüfung in Marxismus–Leninismus gefallen war. Eigentlich hätte das mein Ende auf der Hochschule bedeutet. Wolfgang versicherte den Dozenten, dass ich auf dem besten Wege sei, vieles zu begreifen, und in den anderen Studienfächern war ich ja gut. Er büffelte mit mir, ich lernte stur auswendig und bestand.
    Natürlich sehnte ich mich nach

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