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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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sieht man Turnschuhe, Muskelshirts, Rucksäcke, Mäntel, denn manche sparen sogar das Garderobengeld. Wenn ich unten sitze, ziehe ich jedenfalls keine Alltagskleidung an, aus Respekt vor den Kollegen auf der Bühne.
    Meine große Liebe zum Theater begann. In Berlin und Potsdam sah ich Gisela May mit Brecht-Liedern, war begeistert von der Weigel als Courage, erlebteKatja Paryla in Andorra und die legendären Besson-Inszenierungen am Deutschen Theater – Der Drache mit Rolf Ludwig, Ursula Karusseit, Eberhard Esche, Frieden mit Fred Düren – alles großes Theater. Ich war fasziniert, atemlos.
    Nach den Vorstellungen ging ich in die Kantine, beobachtete die Schauspieler, wie entspannt und locker sie da saßen, ich machte Komplimente, eckte auch manchmal an mit meiner direkten Art. Reden und auf Menschen zugehen war mir schon immer ein Spaß, ein Vergnügen. Und ich organisierte mir die nächste Theaterkarte, indem ich lobte und schwärmte und wünschte, auch dieses und jenes Stück noch zu sehen. Das sprach Eitelkeiten an, und oft genug hieß es: »Willst du mich mal in dem Stück sehen? Dann sei morgen Abend am Bühneneingang, ich bringe dich am Inspizienten vorbei durch den Garderobengang, ich setze dich rein.«
    Meine Favoriten am DT waren Reimar Johannes Bauer, Dieter Franke, Rolf Ludwig und Klaus Piontek – all die Großen jener Theaterepoche.
    Das HO Potsdam war ein Dreispartentheater wie viele in der Republik. Also standen vor Weihnachten immer ein Märchen und eine kleine Oper für Kinder auf dem Spielplan. Wer darin besetzt war, stöhnte, denn ein Märchen gab es meist zweimal am Tag und zu für uns unmöglichen Zeiten, nämlich früh zehn Uhr, manchmal sogar halb zehn. Das bedeutete für mich, sechs Uhr morgens aus dem Haus gehen. Der Tag war hin.
    Aber sobald ich auf der Bühne stand, wich der Frust der Lust. Einmal gab ich in Rotkäppchen ein Häschen, durch das ganze Stück hüpfend. Als Rotkäppchens Freund war ich der Liebling der kleinen Zuschauer. Nahte der Wolf, warnten mich die Kinder lauthals, ich feuerte sie an, indem ich ihnen zurief: »Wir müssen jetzt die Daumen für das Rotkäppchen drücken! Drückt ihr auch alle mit?« Das taten sie, und einmal roch es nach kurzer Zeit merklich und eindeutig im Zuschauerraum. Einige der Kleinen hatten wohl zu sehr gedrückt.
    Im Jahr drauf spielte ich den Gestiefelten Kater , rannte rund um die Bühne, fuchtelte mit dem Florett, sprang auf eine Kutsche auf – nie wieder waren meine sportlichen Fähigkeiten so gefordert.

Die Fundgrube
    In meiner zweiten Spielzeit inszenierte Peter Kupke den Kaukasischen Kreidekreis . Ich kannte das Stück nicht, ging aber davon aus, besetzt zu sein. Meyer wird mir schon eine Rolle geben, mit der ich was anfangen kann, dachte ich, was Kleines zwar, aber was Schönes.
    »Wir beginnen mit etwas, das dir Spaß machen wird«, hatte er kurz zuvor versprochen.
    Ob und wer wen spielt, erfuhr man durch die Besetzungsliste, die am Schwarzen Brett hing, einem Kasten, in dem auch sonst alle möglichen Mitteilungen und Bekanntmachungen angeschlagen wurden. Wir scharten uns also in dem engen Flur um den Kasten, und ich vernahm ein deutliches Grummeln und Murmeln. Als das zunahm und mich schräge Blicke trafen, bemerkte ich darin sogar eine Spur von Neid.
    Nun ist es bei Brecht so, dass die Rollen nicht nach deren Bedeutung aufgeführt sind, also Hauptrollen ganz oben, alle weiteren darunter. Brecht hatte seine eigene Reihenfolge. So standen also oben der Gouverneur, die Gouverneurin, der Polizist und so weiter, ganz unten dann der Plebs, als Letzte: Grusche, ein Küchenmädchen. Dahinter mein Name.
    »Nun habt euch nicht so, meine Rolle steht ganz unten, was wollt ihr denn?«, versuchte ich, den gemurmelten Aufruhr zu glätten, den ich nicht verstand.
    Dann holte ich mein Buch aus der Dramaturgie. Auf der Heimfahrt im Sputnik las ich das Stück, mir wurde heiß und kalt. Die Scham über meine Unwissenheit und meine große Klappe überwog zunächst um ein Vielfaches die Freude über diese große Rolle. Auf jeder Seite kam sie vor, die Grusche, das Küchenmädchen! Da schwor ich mir, ab sofort den gesamten Brecht gründlich von vorn bis hinten zu lesen, ohne zu ahnen, wie viel er geschrieben hatte. Ich nahm mir als Erstes die Theaterstücke vor.
    Mit den Proben begann für mich wieder etwas Neues. Die Bühne war eine Schräge (später habe ich fast nur auf schrägen Bühnen gespielt). Wir trugen charakterisierende Halbmasken mit witzigen

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