Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
einem festen Freund, geriet aber deshalb nicht in Panik. Meine Zeit würde kommen, wie immer alles zu mir gekommen ist. Denn künstlerisch fand ich überall Anerkennung. Wir hatten wundervolle Lehrer: Werner W. Wieland, zu unserer Zeit Fachbereichsleiter Schauspiel, er war erst Anfang Fünfzig, aber wie ein Papa zu uns; Peter Kupke, Regisseur, Direktor der Hochschule, anschließend Intendant am Hans-Otto-Theater; Fritz Marquardt, der Szenenstudium lehrte und mit dem ich später etliche Male arbeiten durfte. Besonders Papa Wieland beschützte und verteidigte mich, wenn meine Fantasie zu weit hinausflog.
Als wir im dritten Studienjahr die Komödie der Irrungen einstudierten, war Kupke so angetan von meinen Vorschlägen für die Regie, dass er mir antrug, mit dem zweiten Studienjahr Shakespeare-Szenen zu erarbeiten. Das war mein erster Unterricht an meiner Hochschule und machte mich sehr stolz.
Schon im dritten Studienjahr gastierte ich am Potsdamer Hans-Otto-Theater. Ich habe noch ein Schreiben vom Oktober 1963, in dem der Intendant Gerhard Meyer »der Ordnung halber unsere mündliche Vereinbarung« bestätigt, wonach ich die Rolle der Pamela in Luckes Lustspiel Pechmühle übernehme: »Sie stehen uns für sämtliche Proben und Vorstellungen zur Verfügung und erhalten dafür ein Honorar von viermal 170,-- Mark brutto (einhundertsiebzig) ... mit vorzüglicher Hochachtung ...«
Die Uraufführung fand Mitte November in Kleinmachnow statt. Damals gab es am Hans-Otto-Theater auch ein Tourneetheater, das gastierte in festen Abstechern – so hieß das. Ein Ensemble – Oper oder Schauspiel – spielte regelmäßig in Ludwigsfelde, Luckenwalde, Rheinsberg, Havelberg, Pritzwalk, Neuruppin und Kleinmachnow, meist in Kulturhäusern oder Werkhallen. Zu diesem Ensemble gehörte nicht die erste Garde, aber auch von denen wurden einige hin und wieder dazu verdonnert.
Für mich bedeutete die Rolle in der Pechmühle statt Vorlesungen im Bus über die Dörfer fahren, aus dem Fenster träumen, lesen, lachen, den älteren Schauspielern zuhören. Wieder war ich die Jüngste, wieder die einzige Studentin, wieder eine Extrawurst.
Zur Premiere erschien alles von Film und Fernsehen, was in Kleinmachnow wohnte. Ich erlebte zum ersten Mal, was es bedeutet, vor einem vollen Saal zu spielen, den Applaus zu genießen und danach entspannt zu plaudern.
Vor dieser Premiere aber überreichte mir ein Kollege ein Telegramm. Er wollte mir eine Freude bereiten, weil er ein Toi-toi-toi oder einen Glückwunsch vermutete. Der Text lautete: Oma tot sofort kommen. Ich musste raus auf die Bühne.
Meine Großmutter Toni hatte sich umgebracht. Auch sie war sehr klein gewesen, ein adoptiertes Kind und irgendwie schwermütig. Schon einmal hatte sie versucht, sich mit Gustavs Hosenträgern aufzuhängen, aber die Höhe falsch berechnet, und Gustav kam unerwartet früh heim. In jenem eiskalten Winter 1963 sprang sie in den Teltowkanal. Sie konnte nicht schwimmen.
Meine Mutter lag wieder einmal im Krankenhaus, meine Schwester und ich wagten nicht, ihr die Wahrheit zu sagen, Aufregung hätte auch sie umgebracht. Bei jedem Besuch dachten wir uns neue Lügen aus: Oma lässt grüßen, für sie ist es zu kalt ... Oma kann schlecht laufen, Oma hat so viel zu tun ...
Nur meine Schwester und ich, Gustav, Tante Berte und einige Nachbarinnen saßen in der kleinen Kapelle, als Oma beerdigt werden sollte. Der Sarg wurde ins Grab gelassen, aber die Erde war über Nacht gefroren, so dass es nicht zugeschüttet werden konnte. Man trug den Sarg zurück in die Kapelle. Eine oder zwei Wochen später ließ Gustav uns wissen, dass nun genug Erde vorhanden sei, um den Sarg vollständig zu bedecken. Zu mehr reichte es nicht. Erst im Frühling wölbte sich über dem Grab ein Hügel.
Im Schlafzimmer der Großeltern fanden wir Schwestern später zwei rosa Flanellunterhemden, Omas Weihnachtsgeschenke für uns.
Nach diesem Ereignis nabelte ich mich endgültig ab von zu Hause und von Berlin-Adlershof.
Meine Schwester fuhr wieder nach Rostock – sie studierte Geschichte und Sport, wurde Historikerin –, ich nach Potsdam. Ich spielte Theater, drehte hin und wieder einen Film bei der DEFA und dem Fernsehen, alles nur kleine, komische Rollen. Aber ich war nun eine »Diplom-Schauspielerin« mit dem Prädikat »sehr gut«.
HO-Theater Potsdam
Große Einschnitte in meinem Leben kamen nie mit einem Paukenschlag, sondern wie auf leisen Sohlen. Immer ergab sich eins aus dem anderen. So war
Weitere Kostenlose Bücher