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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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unauslöschlich in mein Hirn: » Jeder kann Brecht-Lieder singen. Aber nicht jeder kann Brecht-Lieder singen, das braucht Persönlichkeit.« Alle seine Worte und Hinweise habe ich mir gemerkt, konnte sie anwenden, als Brecht singen für mich etwas Alltägliches wurde.
    Nach der Premiere bekam ich den ersten großen Applaus meines Lebens, nein, eigentlich waren es die ersten Ovationen. Was an jenem Abend losbrach, überwältigte mich. Ich hörte Bravo-Rufe, wurde immer wieder auf die Bühne geschoben. Unter der Maske rollten meine Tränen, ich war glücklich. Das war die Anerkennung, nach der ich mich als Kind gesehnt hatte: Seht her, ich kann was. Ich bekam Lob und Zuspruch von Kollegen und vom Publikum, alle liebten mein Spiel, liebten mich. Als Kind ist mir zwar Sorgfalt entgegengebracht worden, aber zum Anlehnen und Kuscheln war weder Zeit noch Gelegenheit. Meine Mutter war zu krank oder zu beschäftigt gewesen. Deshalb tat mir wohl dieser Applaus so gut, er versöhnte und verwöhnte mich.
    Wenn es am Hans-Otto-Theater Potsdam eine Premiere gab, kam auch aus Berlin alles, was in jener Zeit zur Theaterprominenz gehörte. Thomas Langhoff sagte mal, das Schönste an Potsdam seien unsere Berliner Premieren gewesen.
    Die Anwesenheit von Paul Dessau, Heinrich Strub und Helene Weigel gab diesem Abend besonderen Glanz. Die Weigel, so klein wie ich, war damals Intendantin des Berliner Ensembles. Nach der Vorstellung sagte sie zu mir, sie würde sich demnächst bei mir melden, denn: »Ich könnt dich brauchen! Hast ne schöne Nase, ein schönes Gsichtl, Pupperl!« Sie nannte alle jungen Schauspielerinnen Pupperl, wie ich später erfuhr.
    Die Kritiker überschlugen sich vor Begeisterung, lobten besonders uns Neulinge, Siggi Höchst als Azdak und mich. Doch am meisten freute ich mich über die Kritik von Ernst Schumacher in der Berliner Zeitung : »... Fräulein Antoni gibt der Rolle etwas ursprünglich Naives, Direktes, sie wirkt bäuerlich-proletarisch in einem und unterscheidet sich ziemlich stark von der ... Grusche im Berliner Ensemble, von Angelika Hurwicz ... Ich finde die Darstellung der Antoni frischer, weniger ›sentimentalisiert‹. Es ist ein Heidenspaß, sie breitbeinig, in großen Schritten ins Leben laufen zu sehen ...« Er empfahl allen Theaterfreunden eine Reise nach Potsdam, »um sich zu überzeugen, wie eine kleine ›Vorstadtbühne‹ auf durchaus glückliche und beglückende Weise ein nicht leicht zu spielendes Brecht-Stück in Szene zu setzen verstanden hat.«
    Schumacher galt als Kritikerpapst. Was Marcel Reich-Ranicki für die Literatur, war Ernst Schumacher für die Theaterszene. Und er verglich mich mit einer großen Schauspielerin – das war grandios!
    Ich habe noch ein Schreiben vom Intendanten zum 7. Oktober 1966: »Sehr geehrte Frau Antoni, für diese Rolle zeichnen wir Sie mit einer Prämie in Höhe von 200 Mark der Deutschen Notenbank aus.«
    200 Mark, das war viel Geld damals, ein halbes Gehalt.
    Nach dieser Goldrauschpremiere nahm mich Thomas Langhoff einmal in seinem Trabi mit nach Zeuthen zu Paul Dessau und seiner Frau Ruth Berghaus. Im Garten war der Kaffeetisch gedeckt, Sohn Maxim grüßte kurz und ging dann mit einem Freund Tischtennis spielen. An jenem Nachmittag trug Dessau von oben bis unten Weiß, wie ein Tennisspieler. Seine Frau, die stark sächselte, erzählte von einer Opern-Inszenierung, man sprach von Heli und von Ekke, vom BE und von Opern- und Theaterplänen. Halb ohnmächtig vor Ehrfurcht lauschte ich, aß wunderbaren Kuchen, trank richtigen Bohnenkaffee, der mein Herz noch bis tief in die Nacht klopfen ließ.
    Nach der Grusche ging’s steil bergauf, ich machte so etwas wie Karriere. Ich war Lessings Minna und die Magd in Nausikaa . Ich spielte in Shakespeares Komödie der Irrungen , in Bill-Bjelozerkowskis Sturm , in der Kesselflickerhochzeit des Iren John M. Synge. Zum ersten Mal gab ich eine alte Frau in Garcia Lorcas Doña Rosita bleibt ledig, warauch die Wundersame Schustersfrau, und zum ersten Mal sang ich den Surabaya-Johnny in Brechts Happy End .
    Dazu viele kleine Stücke und Programme, der Spielplan bot mir alle Möglichkeiten, mich auszuprobieren. Wie Meyer es versprochen hatte.
    Ich spielte, erfand meine Figuren, Stück für Stück lernte ich mehr. An der Schauspielschule hatte ich ein Etüden-Buch geführt, in dem all das stand, was ich bei der Erarbeitung einer Szene bemerkenswert fand. Meine Textbücher sind voller Anmerkungen, wie ich etwas ausdrücken

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