Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
Rundum-Wohlfühl-Atmosphäre. Ungeschriebene Benimm-Regeln verstärkten das Gefühl: Betraten Männer die Bühne, nahmen sie die Mütze ab und gingen leise hinter dem Rundhorizont, den das Fünfer-Team später entfernen ließ, zur Garderobe. Man aß nicht auf der Bühne. Die Garderobieren brachten uns das Geschirr und räumten es auch wieder weg. Vor allem aber liebten sie die Kostüme an uns Schauspielern, begleiteten uns mit der Kleiderbürste in der Hand bis zum Auftritt. Und die Putzfrau, die kleine Frau Gertrud Herzer, die fast hundert Jahre alt geworden ist, pflegte jede Garderobe und jedes Waschbecken, als gehörten sie ihr.
Eine der schönsten Traditionen am Haus war der Vorhang für die Technik bei einer Premiere: Alle Techniker standen vor den Schauspielern und verbeugten sich. Wir warteten dann an der Seite und klatschten auch für sie.
Zu jedem Geburtstag, zu jedem Jubiläum gratulierte die Intendanz mit Blumen und einem Glückwunsch.
Dieses Theater reiste um den Erdball, war zwei Jahrzehnte lang das weltweit am meisten bewunderte! Und ich gehörte nun zu diesem Ensemble.
Bald erkannte ich, dass die Schauspieler Lager gebildet hatten: Eines um Ekke Schall, eines um Manfred Wekwerth und ein buntes Lager. Ich beschloss nach kurzer Zeit, mein eigenes Lager zu sein. Ich passte in keines.
Als ich noch an der Volksbühne war, gastierte ich als Eva im Puntila . Nach einem Gespräch mit der Intendantin Ruth Berghaus bekam ich den Vertrag, um nun, im Sommer 1976, am BE anzufangen. Endlich! Ich sollte in Dantons Tod spielen. Mein Engagement begann jedoch ohne Ruth Berghaus und ohne Danton .
Ich hatte mich ungemein auf diesen Theaterwechsel gefreut, hatte fasziniert Heiner Müllers Zement gesehen unter Ruth Berghaus’ Regie und mit der Musik ihres Mannes Paul Dessau. Auch von Strindbergs Fräulein Julie war ich begeistert. Jutta Hoffmann, Annemone Haase und Jürgen Holtz spielten hinreißend, exzellent, fast parodistisch gesteigert. B. K. Tragelehn und Einar Schleef hatten das Stück nicht als naturalistisches Trauerspiel inszeniert, sondern in unsere Zeit transponiert mit witzigen Kostümen, den damals gängigen DDR -Schlagern und Alltagssprache. Es war der Versuch, neues, experimentelles Theater auf die Bühne zu bringen. Aber das passte weder den Genossen vom ZK noch den Brecht-Erben und einigen BE -Mitarbeitern. Nach zehn Aufführungen wurde das Stück abgesetzt, Ruth Berghaus wechselte an die Staatsoper, und Manfred Wekwerth übernahm, wie schon einmal, die Intendanz.
Das zweite Mal traf der Bannstrahl den großen Dario Fo, Italiener, Schöpfer eines satirischen, sozialkritischen Volkstheaters. Seit 1977 spielten wir vor immer vollem Haus sein Stück Bezahlt wird nicht . Peter Bause und ich, Jaecki Schwarz und Renate Richter gaben zwei Ehepaare im Italien der siebziger Jahre. Es ging um Moral und Eigentum und die Plünderung eines Supermarktes – ein herrliches Spektakel. Als Dario Fo das BE besuchte und die Vorstellung sah, lobte er uns voll Überschwang, so erfreute ihn unser Spiel.
Wir waren glücklich, und wir freuten uns sehr, als wir hörten, dass er im April 1981 die Dreigroschenoper machen wollte. Peter Bause sollte den Londoner Polizeichef Tiger Brown spielen, ich seine Tochter Lucy. Für den Mackie Messer war Ekke Schall vorgesehen.
Dann gab es eine Konzeptionsprobe mit Dario Fo und Manfred Wekwerth. Sie fand nicht, wie sonst üblich, in einem Probenraum statt, sondern im Zuschauerraum, weil alle Kollegen, von den Schauspielern bis zu den Handwerkern, den berühmten Dario Fo erleben wollten. Auch etliche Journalisten hatten sich angesagt. Neugierig auf Fos Konzeption, lauschten wir ihm fasziniert. Er erzählte von viel Wohlstand und vielen Kühlschränken, die Mackie und Polly zur Hochzeit bekommen sollten. Ich argwöhnte nichts, dachte an unser Erfolgsstück Bezahlt wird nicht und freute mich hoffnungsvoll auf die neue Arbeit.
Plötzlich verließ Ekkehard Schall den Saal. Dario Fo redete weiter. Schall kam kurze Zeit später mit seiner Frau Barbara zurück. Dann verschwanden die Schalls mit Fo und dem Intendanten. Ende der Konzeptionsprobe. Man erklärte uns mit merkwürdig dürren Sätzen, die Dreigroschenoper würde es in dieser Regie nicht geben. Dario Fo reiste am nächsten Tag ab. Das muss man sich vorstellen: Ein international anerkannter, politisch denkender Theatermann kam in ein sozialistisches Land, um politisches Theater zu machen, was wir alle wollten – und wurde
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