Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
wiederum etliche die Richtigkeit dieser Ausbürgerung. Einige Kollegen nahmen auf Druck von oben ihre erste Unterschrift zurück und setzten ihren Namen auf die zweite Liste.
Mich hat diese Unterschriftskiste sehr beschäftigt. Die Aktion, die dem Brief der Schriftsteller folgte, wurde nachts verabredet, und das, glaube ich, nur zwischen den Filmleuten. Die vom Theater kleckerten hinterher. Es wusste wohl auch niemand genau, wo sich diese Listen gerade befanden, einige wurden gar nicht angesprochen – zu denen gehörte ich.
Ich habe keine dieser Listen gesehen. Vielleicht, weil ich nicht zur damaligen Prominenz gehörte, vielleicht, weil man wenig über mich und mein Privatleben wusste und mich nicht einschätzen konnte, vielleicht, weil es bei allem solidarischen Bestreben für Biermann natürlich auch ein großes Misstrauen untereinander gab. Als ich davon erfuhr, war die Messe gesungen.
Um es hier zu sagen: Ich hätte nichts unterschrieben. Einen Menschen auszubürgern, seiner Heimat zu berauben, nur weil er freche Lieder singt, finde ich unmöglich. Aber ich hatte einen wundervollen Mann, zwei zauberhafte Kinder, gute, verlässliche Freunde – und ich konnte meinen Beruf ausüben. Im Gegensatz zu Künstlern, die aus der Partei oder dem Schriftstellerverband ausgeschlossen wurden, denen Auftritts- und Arbeitsmöglichkeiten versagt blieben, und die daraufhin das Land mehr oder minder freiwillig verließen.
Es begann ein nie da gewesener Aderlass. Manfred Krug, Jutta Hoffmann, Angelica Domröse und Hilmar Thate, Katharina Thalbach und Thomas Brasch, Ulrich Plenzdorf, Bettina Wegner und Klaus Schlesinger verließen das Land, um nur die prominentesten zu nennen. So ging einer nach dem anderen, Regisseure, Schauspieler, Sänger, Tänzer, Kabarettisten, Entertainer, auch Freunde, geliebte und geschätzte Kollegen – es waren sehr traurige Monate.
Ich war froh über meinen Entschluss, das Theater zu wechseln, denn auch die Verluste an der Volksbühne nahmen kein Ende. Was ich damals nicht wusste: Der Tornado tobte auch durch das Berliner Ensemble, vielleicht noch zerstörerischer als durch die Volksbühne. Ich konnte mich nur ein paar Wochen lang auf die Zusammenarbeit mit Ruth Berghaus, Einar Schleef, B. K. Tragelehn freuen. Kurz nach meinem Start dort, im September 1977, übernahm Manfred Wekwerth den Intendantenstuhl von Ruth Berghaus, die an die Staatsoper wechselte.
Die Ausreisewelle ging weiter, die politischen Wogen schlugen höher. Mein kluger Mann prophezeite, dass die DDR -Wirtschaft spätestens Mitte der achtziger Jahre am Ende sei. Obwohl mich das Gefühl von Kontrolle, von Kleinlichkeit und Enge, das sich wie Mehltau auf uns gelegt hatte, bedrückte, freute ich mich auf neue Aufgaben. So kam ich ans Berliner Ensemble, dem ich dreimal Nein gesagt hatte.
Endstation Sehnsucht: BE
Es ist erstaunlich, wie sich die Theater innerhalb einer Stadt unterscheiden. Zumindest war es damals so. Das Berliner Ensemble, Brechts Bühne, bot einen außergewöhnlichen Komfort. Schon das Angebot an Bildung war einzigartig: Bei einer Sprecherzieherin konnten wir kostenlosen Unterricht nehmen. Ein Pianist erarbeitete mit uns Brecht-Lieder; wir erhielten Bewegungsunterricht. Der Komponist Hans-Dieter Hosalla leitete ein theatereigenes kleines Orchester. An spielfreien Montagen fanden sogenannte Bildungsvormittage statt, zu denen illustre Gäste aus Wirtschaft, Politik, Kunst und Literatur eingeladen wurden, um uns auf den neuesten Stand zu bringen. Der künstlerisch-ökonomische Rat der Schauspieler schlug der Leitung Stücke vor. Die Regieassistenten schrieben nach jeder Vorstellung einen Bericht mit kritischen Anmerkungen, den wir vor der nächsten Vorstellung in die Hand bekamen. Es gab einen Frauenruheraum, eine Masseuse, und zweimal in der Woche hielt ein Arzt Sprechstunde ab. Es gab ein Urlaubs-Bungalowdorf für Ensemblemitglieder und für die Kinder ein Ferienlager, das Helene Weigel initiiert hatte. Es gab eine Kaschier-Werkstatt unter dem berühmten Theater- und Kostümplastiker Eddy Fischer, eine Tischlerei, eine kleine Schmiede mit Schlosserei, die Maske, eine Schneiderei (die Kostüme wurden in den Werkstätten der Staatsoper gefertigt), ein Archiv, eine Bibliothek und eine hauseigene Fotografin, viele Jahre lang war das Vera Tenschert.
Der wunderbare Zuschauerraum mit dem Foyer voller plüschiger, roter »Empire«-Möbel, das kuschelige Rangcafé und die kleinen, gemütlichen Garderoben schufen eine
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