Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
Vermutungen. Ein gänzliches Verbot für eine Aufführung war dann allerdings doch ein Politikum und löste heftige Diskussionen im Ensemble aus. Oft ging das mit der Absetzung des Verursachers, also des Regisseurs einher. Das waren finstere Zeiten.
Besonders wuchtig geriet der Kahlschlag nach dem 11. Plenum 1965. Eigentlich sollte es um ökonomische Fragen gehen. Breshnew hatte Chruschtschow abgelöst, in der DDR ging es wirtschaftlich bergab. Aus dem Wirtschaftsplenum wurde, wohl als Stellvertreter-Diskussion, ein Kulturplenum mit verheerenden Folgen. Eine halbe Jahresproduktion der DEFA verschwand in irgendwelchen Kellern. Kellerfilme nannte man sie, Horst Sindermann, Präsident der Volkskammer, sprach in Anspielung auf einen dieser Filmtitel zynisch von »Kaninchen-Filmen«.
Kam ein Film nicht in die Kinos, waren Monate, manchmal Jahre Arbeit umsonst. Den Dreharbeiten gingen ja unendlich lange Genehmigungsverfahren voraus. Heute dauert es Monate oder Jahre, bis der Produzent genug Geld zusammen hat, um einen Film zu machen, damals ging es um Genehmigungen. Wer da alles zustimmen musste! Der Chefdramaturg und der Studiodirektor, das ist klar, dann das Ministerium für Kultur und das ZK der SED , Abteilung Kultur, selbst Honecker gab noch seinen Senf dazu.
Die künstlerische Arbeit war umsonst, es gab keine Premiere, nur interne Debatten, die Schauspieler blieben ohne Bewertung, die Regisseure im Dauerbeschuss mit der Obrigkeit, die Öffentlichkeit ausgeschlossen – das war hart. Man litt mit den Kolleginnen und Kollegen, die Hauptrollen gespielt hatten, denn eine große Filmrolle ist immer und überall eine wunderbare Sache. Noch ein unerwarteter Effekt trat ein: Schauspielerinnen und Schauspieler, die in mehreren dieser verbotenen Filme spielten, gerieten in den Augen der Öffentlichkeit zu Widerständlern, sie bekamen eine politische Haltung angedichtet, ohne dass sie eine solche jemals bekundet hätten.
Und doch war ich stolz, in zwei »Kaninchen-Filmen« mitgespielt zu haben, wenn auch nur in Nebenrollen. Auch ich rettete meine Enttäuschung in das Gefühl, mich politisch verhalten zu haben. Vielleicht war es auch nur ein jugendliches Aufbegehren, die Lust auf Revolte. Denn natürlich wussten wir, dass nicht alles, was wir spielten und was gedreht wurde, parteikonform war, doch deshalb war es noch lange nicht reaktionär, sondern der Versuch, kritisch zu sein. Viele Menschen im Land und auch die Künstler hofften, mit konstruktiver Kritik eine Auseinandersetzung, eine Aufweichung der starren Strukturen zu erreichen.
Im Prager Frühling hatte ich durch das Fernsehen eine so große Sympathie für Dub ˇ cek entwickelt, dass ich auf meinen kleinen Koffer »Hoch lebe Dub ˇ cek« schrieb. Ich kam nur bis zum S-Bahnhof Köpenick. Auf dem Polizeirevier wurde mir empfohlen nachzudenken. Ich dachte vergeblich nach bis zum Abend, dann ließen sie mich gehen. Ich war wütend wegen dieser Repression, mir ging es gar nicht um ein politisches Bekenntnis, nur um Gerechtigkeit für die Prager, denn ich liebte diese Stadt.
Sieht man heute diese verbotenen Filme, ist man sprachlos. Es sind gute, klare, kritische Geschichten mit großartigen Schauspielern. Aber Kritik verursachte bei der Obrigkeit Schrecken, und die Antwort war immer gleich rigoros. Was war so schlimm an Denk bloß nicht, ich heule von Frank Vogel? Vielleicht bloß der Titel. Die Handlung: Ein Schüler, ihn spielte Peter Reusse, wird von der Schule verwiesen, weil er verkündet hatte, die Republik nicht zu brauchen. Er geht aufs Land zu seiner Freundin, um sich auf das Abi vorzubereiten. Deren Vater ist LPG -Vorsitzender und gegen die Verbindung. Irgendwann gibt es eine Prügelei.
Prügeleien passten schon nicht zum sozialistischen Menschenbild, aber einer, der die Republik nicht braucht wie das tägliche Brot, das ging gar nicht. Da half auch nicht die hervorragende Besetzung: Jutta Hoffmann, Helga Göring, Alexander Lang, Fred Delmare, Arno Wyzniewski. Ich spielte eine Studentin.
Anders der Film Das Kaninchen bin ich . Es war schon erstaunlich, dass der Film überhaupt gedreht werden konnte. Das Buch von Manfred Bieler, das von der politischen Strafjustiz handelt, ist in der DDR nie erschienen. Bieler ist später in den Westen gegangen. Kurt Maetzig führte Regie und musste sich danach in endlosen Debatten demütigend rechtfertigen. Der Verbund Deutscher Kinematheken zählte den Film später zu den hundert wichtigsten deutschen Filmen aller
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