Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
rausgeschmissen! Ich habe es nie verstanden. Vielleicht waren die Kühlschränke schuld, die es in diesen Mengen in der DDR nicht zu kaufen gab, und die Ideen für die Kostüme aus weichen, fließenden (West-)Stoffen, die herzustellen für unser Theater zu teuer gewesen wären. Es durften ja keine Bedürfnisse geweckt werden, nicht in Zeitungen, nicht im Fernsehen und auch nicht auf der Bühne.
Enttäuschungen gehören zur Arbeit, Erwartungen sind oft zu hoch, Besetzungen bringen das Blut zum Kochen.
Peter Kupke, mein einstiger Regisseur in Potsdam, war mittlerweile am BE . Er besetzte mich in der Mutter Courage – aber nur mit dem Lied von der Bleibe:
»Uns hat ein Ros’ ergetzet
Im Garten mittenan
Die hat sehr schön geblühet
Haben sie im März gesetzet
Und nicht umsonst gemühet.
Wohl denen, die ein’ Garten han.
Sie hat so schön geblühet ...«
Vorne spielte das Leben, Gisela May gab die Courage, und ich kam allabendlich ins Theater, um dieses eine Lied hinter der Bühne zu singen. Mehr nicht. Bis ich intervenierte: »Es reicht jetzt, macht bitte eine Tonaufnahme!« Erst nach zwei Gesprächen geschah das, und ich war von diesen Abenden suspendiert.
Dann wurden die Proben zu Tolles Geld oder Armut ist keine Schande von Alexander Ostrowski abgebrochen, irgendwas passte wieder nicht mit der Regie. Ich schlug ein eigenes Brecht-Programm vor, das wurde abgelehnt. Ich spielte im Galileo Galilei , in Jegor Bulytschow an der Seite des zauberhaften, schlauen, viel zu früh verstorbenen Kurt Böwe. Bezahlt wird nicht indes lief und lief. Doch ich hatte ungeheure Lust auf größere Rollen.
Da schlug Peter Konwitschny vor, mit mir ein Ein-Personen-Stück zu erarbeiten, Jacke wie Hose von Manfred Karge. Die Idee nahm die Intendanz zwar nicht ganz so enthusiastisch auf, denn Karge arbeitete schon im fernen Westen, in Bochum, aber das Thema passte: Es geht um eine Frau in den dreißiger Jahren, die die Rolle ihres verstorbenen Mannes einnimmt, um seinen Arbeitsplatz als Kranführer nicht zu verlieren. Und Konwitschny, Berghaus-Schüler und Sohn des großen Dirigenten Franz Konwitschny, sah zwar düster und pessimistisch in die Welt, sprühte aber vor grandiosen Ideen. Er wurde später für die Oper, was Schleef für das Schauspiel war. Ich glaube, ihn faszinierten die Geschichten in den Opern. Arien, nur heruntergesungen, eine Ansammlung von starr dastehenden Chören, das wollte er revolutionieren, und das ist ihm in vielen seiner Inszenierungen gelungen.
Für Jacke wie Hose hatte Konwitschny Kostüme und Bühnenbild – es war die Probebühne – selbst entworfen: Eisenbahngleise mit Kreuzung und Weiche führten durch den gesamten Raum, die Zuschauer saßen oder standen zwischen den Gleisen. Wir probierten nur zu zweit, Konwitschny und ich. Die Proben, viele Stunden am Tag, erlebte ich wie Szenen einer Ehe.
Sein Sinn für Realismus, sein hintergründiges Lächeln, seine schwarze Fantasie flößten mir fast Angst ein. Er forderte mir das Männliche, das Weibliche, das Kindliche ab, wobei er mich an Abgründe führte. Die Kindheit zeigte sich traurig, verloren, die Frau kinderlos, verzweifelt, der Mann biertrinkend, grölend und sexuell schwach – Extreme von bitterster Wahrheit in tiefstem Moll.
Er prophezeite, scharfsinnig analysierend, meine Wirkung auf das Publikum, was ich gar nicht hören wollte. Ich wusste damals nicht, dass er mir Existenzielles abfordern wollte. Ich schämte mich sehr in einigen Szenen, doch er sagte, die Zuschauer würden mir verzeihen, da sie sich schämten und ich sie ertappte in ihrem Versagen. Ich müsse Haut zeigen, meinen Ernst, mein Leid – nicht die Schau und nicht das Spiel: »Sei pur, ohne Schnörkel!«
Oft kam ich mit all meiner Wut und Aggression heim, suchte Schutz bei meinem Mann. »Das ist toll, was er von dir verlangt!«, war sein Kommentar. (Mein Mann wurde im selben Jahr wie Konwitschny nur einen Tag vor ihm geboren – es leben die Wassermänner!)
Irgendwann zog ich mich in einer Probe voller Zorn aus, zeigte meinen Bauch. Konwitschny lachte laut, lobte mich zum ersten Mal für meinen Mut. Und da hatte ich begriffen: Ich konnte etwas zulassen, eine Sperre in mir aufheben. Bei schwierigen Szenen kamen mir oft private Gedanken in die Quere. Im Leben haben Zaghaftigkeit, Zurückhaltung, Scham ihre Berechtigung, auf der Bühne jedoch, das habe ich bei dieser Produktion gelernt, sind diese Eigenschaften nur hinderlich; ich konnte plötzlich exaltiert und extrem
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