Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
solchen Zusammenkunft hätte unpassender nicht sein können, der Senator war noch nicht mit Lösungsvorschlägen ausgerüstet, das Ensemble zu aufgeputscht.
Die Sprecher der Berliner Theater trafen sich einmal wöchentlich im Schöneberger Rathaus. Wir tagten im Sitzungssaal an einem großen, ovalen Eichentisch. Der Raum wirkte auf mich dunkel und muffig. An der Wand hingen Monumentalbilder der Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen und Walter Momper, die mich an unsere Personenkult-Bilder erinnerten. Auf unseren Plätzen ein Schild mit dem Namen des jeweiligen Theaters, ein Mäppchen, Kugelschreiber und Wasser. Die Herren Staatssekretäre laberten endlos von Strukturen und von Neugestaltung, palaverten einerseits von unkündbarem Personal, andererseits von überbesetzten und überalterten Ensembles und großzügigen Abfindungen. Woche für Woche gab es ein solches Endlosgesülze ohne Entscheidungen, bräsig, amtlich, unkreativ. Niemand interessierte sich für die Mitglieder der Theater und ihre Probleme.
Absurd fand ich nur, mit den Schauspielern des Schillertheaters zusammenzusitzen, von denen etliche einst in der DDR gelebt und gearbeitet hatten.
Mir erscheint es heute, als ob damals die Personalratsvorsitzende Antoni besser war als die Schauspielerin Antoni, weil es etwas zu diskutieren, zu kämpfen gab. Immer wieder verlangte ich nach einer Leitung des Hauses, um die Gefahr des Abwickelns zu bannen.
Schließlich kam R. Serge Mund ans Theater, ein Bankkaufmann und Wirtschaftswissenschaftler, später leitete er das Staatstheater Cottbus. Er besorgte die Interimsgeschäfte. Ihm oblag es, Kündigungen auszusprechen und die neuen »Westverträge« anzubieten. Die vielen Kündigungen – ohne Begründung und mit lächerlich geringen Abfindungen – konnte ich nicht verhindern. Nicht nur Schauspieler hat es getroffen, auch Dramaturgen und Mitarbeiter des Archivs, der Fotoabteilung, Beleuchter, Handwerker, Kascheure, die gesamte Kaderabteilung.
Die Treuhandanstalt veranstaltete einen Ausverkauf, der in der Geschichte seinesgleichen sucht. Sie verdient diesen Namen nicht, denn sie ging nicht treuhänderisch mit dem DDR -Vermögen um, sondern veranstaltete die größte Verramsche aller Zeiten. Von vier Millionen Angestellten verloren innerhalb kürzester Zeit drei Millionen ihren Job.
Es gab neue Wörter, die das Mäntelchen des Freundlichen über Schamloses hängen sollte: Altlasten, Abwicklung, vorzeitiger Ruhestand, ich glaube, auch die Warteschleife ist ein Wort dieser Zeit. Es hatte für uns ein Körnchen Wahrheit, wir warteten alle, obwohl wir nicht schlechter spielten als zuvor. Jedenfalls fühlten auch wir uns damals wie Schlussverkaufsramsch – alles muss raus, denn nur ein leeres Haus ist ein neues Haus.
Kurz vor der Sommerpause war die Drecksarbeit erledigt, Serge Mund abgezogen, das Ensemble um die Hälfte geschrumpft, das Haus wieder ohne Direktion.
Der Senat bestimmte eine Interimsleitung, die aus dem Regisseur Fritz Marquardt, der Dramaturgin Bärbel Jaksch und mir bestand.
Die Euphorie vom November war der Wut gewichen. Wut auch auf mich, denn etliche Kollegen glaubten, der Personalrat habe bei den Kündigungen mitgewirtschaftet. Dabei sind diese Entscheidungen komplett an uns vorbei gefällt worden. Aber Neid, Gerüchte und diese Unsicherheit schufen Misstrauen. Wen es nicht getroffen hatte, der war verdächtig. Man verlangte die Überprüfung des Personalrats auf eventuelle Mitarbeit bei der Staatssicherheit. Nach wenigen Wochen bekam ich meinen »Persilschein«. Er hing ein paar Monate lang im Flur meiner Wohnung.
Ich habe mich oft gefragt, warum die gekündigten Kollegen sich so stillschweigend damit abgefunden, warum sie sich nicht gewehrt haben. Ich hatte mich damals bei einem Rechtsanwalt erkundigt und hätte gestritten, wenn es mich getroffen hätte. Andererseits konnte keiner wissen, wie die Geschichte weiterginge, alle waren ja bislang gut beschäftigt gewesen bei Film, Funk und Fernsehen. Niemand vermochte sich vorzustellen, fortan – wenn es gut lief – nur noch mit einem befristeten Vertrag für eine bestimmte Produktion beschäftigt oder überhaupt nicht gefragt zu werden. Nur wenigen gelang es, im neuen Staat Fuß zu fassen. Ein Schicksal, das sie mit Millionen Ostdeutschen teilten.
Auch die Zurückgebliebenen erlebten eine schlimme Zeit. Ruderboote in alle Richtungen, jeder ruderte wie wild, es gab aber keine Hinweisschilder, es war eine Unbekannte-Ufer-Zeit.
Der
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