Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
Vom Netzwerk:
Staatsbürgerkunde gelehrt und tags darauf gab es diesen Staat nicht mehr. Aber meine Tochter hat das sehr gut verdaut. Und mein Sohn musste kein Bausoldat werden, er wollte nämlich keinesfalls zur Armee. Er hätte, um überhaupt zu einem Studium zugelassen zu werden, drei Jahre dienen müssen. Für ihn hat sich alles wunderbar geklärt: Er arbeitete als Zivi in der Jüdischen Gemeinde und konnte anschließend studieren.
    Ich habe mir damals gewünscht, man hätte einen neuen deutschen Staat gegründet, mit den größten Erfolgen der beiden Teile. Ja, das wär’s gewesen.

Unbekannte-Ufer-Zeit oder: Es war in Schöneberg
    Dann ging alles wahnsinnig schnell. Als die Mauer gefallen war, kümmerte sich das Volk um Reisen und Bananen und neue Fernseher. Kaum jemand interessierte sich noch fürs Theater. Davon gab es ja nun auch viele in der plötzlich so großen Stadt: Elf Staatstheater und drei Opernhäuser. Das erschien dem Berliner Senat zu viel, also wollte man, als keiner so recht Zeit hatte hinzugucken, mindestens ein Theater abwickeln. Das Maxim-Gorki-Theater, das Schillertheater und das Berliner Ensemble standen auf der Liste.
    Vor einigen Jahren habe ich eine Lesung des damaligen Berliner Kultursenators Ulrich Roloff-Momin besucht, mir sein Buch Zuletzt: Kultur gekauft und es signieren lassen. Er schrieb hinein: »Zur Erinnerung an durchlittene Zeiten«.
    Im Januar 1991 war er Senator geworden. Ihm oblag die Wahnsinnsaufgabe, die gesamte Kultur Berlins mit ihrer reichen Theaterlandschaft unter einen Hut zu bringen, neue integre Leute einzusetzen und die alten zur Aufgabe ihrer Positionen zu »ermuntern«. Ein parteiloser Senator zwischen CDU - und SPD -Fronten. Einige schienen sich mehr kulturfreundlich zu geben, andere weniger. Sein Urteil fällt bitter aus: »Die Kultur hat bei der SPD , aber auch bei der CDU keine Rolle gespielt«, steht in seinem Buch und: »... für Kultur hat sich eigentlich niemand interessiert.«
    Künstlerisch war das BE an seinem tiefsten Punkt angelangt. Die angespannte Situation verunsicherte Schauspieler und Personal. Auch in den anderen Ostberliner Theatern grummelte es. Die Treuhand verkaufte ehemals staatliche Immobilien für einen Appel und ein Ei, die erste West-Euphorie war verfolgen, Existenzangst griff um sich.
    Im Frühjahr forderte Roloff-Momin unseren Intendanten Manfred Wekwerth zum Rücktritt auf. Wekwerth weigerte sich, stellte in einer Betriebsversammlung die Vertrauensfrage. Nur wenige Kollegen hoben für ihn die Hand.
    Es hatten sich zwei Lager gebildet: Die einen wollten Altes bewahren und sich keinesfalls zu weit aus dem Fenster lehnen. Andere hingegen forderten Aufbruch. Sie standen hinter Christoph Schroth, der vom Mecklenburgischen Staatstheater gekommen war, wo er aufrührerische Stücke inszeniert hatte, Franziska Linkerhand zum Beispiel, das Projekt Antike Entdeckungen , Faust 1 und 2 – mit neuer Dramatik, neuen Ideen, experimentierfreudig. Ich glaube, er sollte oder wollte Wekwerths Nachfolger werden. Trotz dieses Hahnenkampfes, auf den wir keinen Einfluss hatten, arbeiteten wir gern mit Schroth und gern mit Wekwerth.
    Dennoch sagte ich damals zu Wekwerth: »Geh jetzt weg, wo es noch gut ist, es wird sich ohnehin alles ändern.« Er ist gegangen und hat jahrelang nicht mit mir gesprochen. Erst viel später haben wir über unsere unterschiedlichen Positionen reden können.
    Zu der Zeit wählte mich das Ensemble zur Personalratsvorsitzenden und damit zu seiner Sprecherin. Gewähltes Organ der Arbeitnehmer zu sein – eine völlig ungewohnte Rolle. Doch für mich war entscheidend, dass mir die Leute vertrauten und ich unsere Interessen im Berliner Senat vertreten konnte. Ich war überzeugt, Brecht wird gebraucht. Wir hatten immer vor vollem Haus gespielt, und eines Tages, wenn sich die Wogen geglättet hätten, würde das wieder so sein. Die Touristen kamen auch in jener Wendezeit, alle wollten in Brechts Haus, dieses Theater schließt niemand, und wenn wir uns davor aufbauen und es mit allen Mitteln verteidigen. Diesen Standpunkt vertrat ich in meiner neuen Funktion gegenüber dem Senat.
    Meine erste Amtshandlung bestand darin, im Schöneberger Rathaus, dem damaligen Amtssitz des Senats, einen Nachfolge-Intendanten zu fordern. Roloff-Momin versprach eine schnelle Lösung, wir luden ihn ins BE ein. Der Besuch geriet zum Desaster. In einer aufgeregten Diskussion beschuldigten sich Ost und West des Unverständnisses und Desinteresses. Der Zeitpunkt einer

Weitere Kostenlose Bücher