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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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Ausverkauf am BE geschah leise. Zuerst mussten die gehen, die zuletzt gekommen waren und nur kurze Zeit dem Ensemble angehört hatten. Dann die Älteren, mit einer zu kleinen Abfindungssumme. Sogar während des Urlaubs wurden Kollegen entlassen. Beistand der Leitung? Gab es nicht mehr. Solidarität? Kam niemandem mehr in den Sinn. Egoismus und Misstrauen hatten aus uns sehr schnell Einzelkämpfer gemacht. Aber diese Schutzlosigkeit war furchtbar.
    Thomas Langhoff holte mich während einer Warteschleife in den neunziger Jahren ans Deutsche Theater, ich spielte im Wiener Wald und konnte in den Kammerspielen mit Johanna Schall unser Brecht-Programm machen.
    Heute gehe ich mit Warteschleifen gelassener um. Übrigens erfährt man, ob und wie man besetzt ist, nicht mehr von einem Papier am Aushang, sondern der Intendant lässt ein paar Tage vor Probenbeginn anrufen: »Sie spielen bei mir ...«
    Überraschung oder Enttäuschung, das ist dann die Frage. Am Schwarzen Brett hängen nur noch allgemeine Informationen.
    Einmal fragte mich eine Nachbarin: »Frau Antoni, es ist ja plötzlich so still um sie geworden?«
    Ich fragte zurück: »Wo waren Sie denn letzten Monat?«
    »Bei meiner Cousine im Schwarzwald, und dann suchen wir ja auch eine neue Wohnung.«
    »Okay, ich war und bin am Theater und arbeite.«
    Aber auch am Theater fehlte die Orientierung.
    Dem jahrelangen Gezerre um die Theaterschließungen fiel zuerst die Freie Volksbühne Westberlin zum Opfer. Ein Jahr später, 1993, das Metropol-Theater, einzige deutschsprachige Repertoire-Operettenbühne, dann das Schlossparktheater, die Schiller Werkstatt und das Schillertheater, das 99 Jahre zuvor gegründet worden und bis dahin Aushängeschild der Westberliner Bühnen war. Kollegen erzählten, wie unrühmlich dessen Ende geriet: Das Mobiliar verschleudert, der Fundus geplündert, sogar ein Steinway sei geklaut worden.
    Nachdem Matthias Langhoff abgesagt hatte, das BE in diesem Zustand allein zu übernehmen, verfiel man auf die Idee eines Gesellschafter-Gremiums aus fünf Intendanten. Ein Einfall, wie er noch nie funktioniert hat. Er stieß auf allgemeine Ablehnung, denn das Fiasko der »Viererbande« am Schillertheater war noch in den Köpfen. Nun also eine »Fünferbande«: Matthias Langhoff, Fritz Marquardt, Peter Palitzsch, Peter Zadek und Heiner Müller.

Westwind weht
    Eine der ersten Handlungen der fünf neuen Herren bestand darin, den Rundhorizont auf der Bühne entfernen zu lassen, den Brecht einst wegen seiner wunderbaren Akustik hoch gelobt hatte. Die zweite Handlung: Der Zuschauerraum wurde teilweise Spielfläche.
    Die Intendanten liefen durch das Haus und über den Hof, mieden Gespräche mit uns, überließen dem Geschäftsführer, mit dem Ensemble zu verhandeln, zu schlichten und zu glätten.
    Der Westwind wehte neue Regisseure ins Haus, und die brachten ihre eigenen Protagonisten mit aus Bonn, Hamburg, Bochum, München und sonst woher, Martin Wuttke, Volker Spengler, Margarita Broich, Gert Voss und viele andere.
    Regieassistenten aller Art wuselten im Haus herum, keiner von ihnen aber vermochte es, den Glanz des einst so berühmten Ensembles aufzupolieren. In jener Zeit spielte das BE im Berliner Theaterleben keine Rolle. Sensationelles gab es am Deutschen Theater, wo Thomas Langhoff inszenierte. Man sprach über Frank Castorfs Volksbühne, der Christoph Marthaler und Christoph Schlingensief engagiert hatte, und über Leander Haußmanns Klassiker-Inszenierungen am Schillertheater, so lange es das noch gab.
    Die alten Herren nahmen bewährte Brecht-Stücke – bis auf Baal und Galileo Galilei – aus dem Spielplan, eine weitere fatale Entscheidung. Allein Heiner Müllers Inszenierung des Arturo Ui mit Martin Wuttke wurde, wie einst die Aufführung mit Ekke Schall, ein Welterfolg. Über vierhundert Mal wurde es gespielt. Aber sonst? Shakespeares Kaufmann von Venedig un d Antonius und Cleopatra , Charly Chaplins schwarze Komödie aus dem Jahr 1947 Monsieur Verdoux , George Cesare Zavattinis Wunder von Mailand . Unaufregende Theaterkost eben. Und wenige Frauenrollen.
    Nur Wessis in Weimar in der Regie von Einar Schleef lief mit Erfolg, aber mit Schleef konnte Zadek nicht.
    Was für Stücke sollte man jetzt spielen, die irgendeine Wirkung haben könnten? Über die menschlichen Katastrophen jener Zeit gab es keine Stücke.
    Damals sagte ich mir, nun, da ich nicht wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen gekündigt worden bin, gehe ich nicht weg. Ich freute mich,

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