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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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Haase, Christine Gloger und mich Hölderlins Pharsalia , das Stephan Suschke für die Probebühne inszenierte.
    Gelegentlich saß eine oder einer der Neuen mit am Tisch in der Kantine, und manchmal kam eine Frage nach unserem früheren Künstlerleben. Wir berichteten kurz und knapp, ohne diese Bugwelle, mit der man uns entgegenkam. Wir wurden für einen Augenblick bestaunt, dann wehte rasch wieder der Westwind. Ich begriff schnell, dass man an das berühmte Berliner Ensemble ging, um seine Vita zu schmücken. Besetzt zu werden von einem bekannten Regisseur, an diesem Haus gespielt zu haben, das wertet die Biografie ungemein auf.
    Einmal saß ich mit einem jüngeren Kollegen in der Kantine, der ein halbes Jahr am BE war. Er raunte mir allen Ernstes mit bedeutender Miene zu: »Ich wünschte dir, mal Heiner Müller zu begegnen, mit dem bin ich befreundet.«
    So, so. Mir verschlug es die Sprache, und das will was heißen. Ich habe anerkennend genickt, mir war nicht danach, den jungen Mann aufzuklären.
    Mit Heiner Müller trank ich an meinem fünfzigsten Geburtstag den dritten und letzten Whisky, das war im August 1995 im Brecht-Haus in der Chausseestraße. Die Krankheit hatte ihn schon sehr gezeichnet. »Den nächsten Whisky dann da drüben«, sagte er und zeigte auf den Friedhof. Im Dezember darauf ist er gestorben.
    Den ersten Whisky hatte ich mit ihm fünfundzwanzig Jahre davor in der Volksbühne getrunken. Für den zweiten Whisky, den ich spendierte, schrieb er mir ein paar Zeilen auf einen Zettel. Die fand ich später wieder in seinem Gedicht Theatertod:
    »Leeres Theater. Auf der Bühne stirbt
    Ein Spieler nach den Regeln seiner Kunst
    Den Dolch im Nacken. Ausgerast die Brunst
    Ein letztes Solo, das um Beifall wirbt
    Und keine Hand. In einer Loge, leer
    Wie das Theater, ein vergessenes Kleid.
    Die Seide flüstert, was der Spieler schreit.
    Die Seide färbt sich rot, das Kleid wird schwer
    Vom Blut des Spielens, das im Tod entweicht.
    Im Glanz der Lüster, der die Szene bleicht
    Trinkt das vergessne Kleid die Adern leer
    Dem Sterbenden, der nur sich selbst noch gleicht
    Nicht Lust noch Schrecken der Verwandlung mehr
    Sein Blut ein Farbfleck ohne Wiederkehr.«
    Heiner Müller war in der DDR ein angezählter, in der gemeinsamen BRD ein angesagter Dichter. Immer mal wieder wurde eines seiner Stücke von der Partei arg kritisiert oder gar verboten. Kam er jedoch in die Kantine der Volksbühne, bildete sich eine Traube um ihn, alle verehrten ihn, besonders die Frauen. Wir mochten seine leise, fast sanfte Stimme. Dabei konnte er auch sehr bestimmt und zynisch werden. Er formulierte klar, reduziert, schnörkellos und gewählt.
    Er trank gern guten Whisky, den er sich, als er »nur« Dichter war und noch nicht inszenierte, kaum leisten konnte. Wir Schauspieler zahlten gern mal einen für ihn. Nach der Wende stieg Heiner auf in die Upperclass, wurde umwuselt, umbuhlt, belagert, vereinnahmt von vielen. Nun bezahlte er seinen Whisky selbst und lud ein. Intendant zu sein gehörte nicht zu seinen Träumen, warum er sich berufen ließ, habe ich nicht verstanden. Er war viel zu klug, um die Lage nicht scharfsinnig zu durchschauen. Nach Brecht war Heiner Müller für mich der Favorit am Theater und für das Theater.
    Das ist auch eine merkwürdige Beobachtung dieser Zeit, die Traubenbildung. Eine neue Produktion begann, und Hospitanten, Assistenten, Regieassistenten, Kostümbildner, Kostümassistenten, Bühnenbildner und deren Assistenten, ungezählte Kaffeeholer, dazu Schauspielerinnen und Schauspieler, die all diese Leute seit Jahren kannten, hockten zusammen, abgeschottet vom Rest des Ensembles, wie eine Traube eben. Nach der Premiere fiel die Traube auseinander, bis sich die nächste bildete. Wahrscheinlich war das die Entbehrung, die ich empfand. Wir wurden uns fremd, interessierten uns nicht mehr füreinander. Es galt nur noch die Leistung auf der Bühne, aber dazu braucht es Rollen, wenigstens eine Besetzung.
    Zwischen Schauspielern gibt es ohnehin nur selten haltbare Freundschaften, das ist jedenfalls meine Erfahrung. Zu groß sind die Eitelkeiten, zu hart auch die Konkurrenz. Aber so gar kein Interesse aneinander, das war neu.
    Da komme ich zum Beispiel von den Brecht-Tagen in Augsburg, von einem Dreh in Irgendwo, von meiner Kinderoper in Frankfurt an der Oder, von einer auf- und anregenden Sitzung der Film-Akademie, war tagelang beschäftigt, habe viel erlebt – und niemand weiß davon. Früher wussten wir, wo sich die

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