Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
bemerkenswert, er verzog nämlich keine Miene, obwohl der rosarote Pudding an ihm herunterlief. Natürlich sahen wir das alle, aber wir versuchten, das Komische zu ignorieren. Stattdessen improvisierten wir Texte über Reinigung und Versicherung, bauten für den Mann viele Extempores ein. Aber wie mag er nach Hause gefahren sein – in der Straßenbahn?
Einmal kippte die Puddingschüssel um, und der Pudding ergoss sich auf die Bühne. Der Tanz nach dem Essen geriet zwar nicht als Tanz auf dem Vulkan, aber ähnlich heikel, denn wir rutschten auf der glibberigen Masse wie auf einer Eisbahn. An Kleidern, Anzügen, sogar an den Perücken klebte der rosarote Matsch. Wir spielten unverdrossen weiter, was höchste Konzentration erfordert, um nicht loszuprusten und in einem Lachanfall zu ersticken.
Denke ich an Aufführungen der letzten Jahre an Berliner Theatern, fallen mir etliche Situationen ein, bei denen ich froh war, weiter hinten zu sitzen.
Immer wieder heftige Tücken bietet der Planwagen, mit dem Mutter Courage durch die Lande beziehungsweise über die Bühne zieht. Er ist eine einzigartige Konstruktion. Etliche Männer, die alle viel von Technik verstehen, haben ihn gebaut. Da es nicht die Erfindung eines einzelnen Hirns ist, besitzt der Wagen verschiedene Finessen, die unterschiedliche Reaktionen verursachen.
Die vier Räder hatten offensichtlich eine andere Art von Oberteil erwartet, denn sie weigern sich in fast jeder Vorstellung, das zu tun, wofür ein Rad erfunden worden ist, nämlich ordentlich zu rollen.
Habe ich sie dazu gebracht, lassen sie sich nur schwer wieder bremsen. Bei den ersten Vorstellungen hatte ich es mit einer Handbremse zu tun, in der ich mir fast immer die Finger einklemmte. Nachdem ich entschieden um eine Lösung gebeten hatte, bei der meine Finger unversehrt bleiben, wurde die Handbremse zugeklebt, verblieb aber am Wagen. Inzwischen ist sie so verrostet, dass sie ohnehin nicht mehr zu gebrauchen wäre. Die Techniker bauten eine weitere Bremse an, eine, die ich hochreißen musste, sollte der Wagen stehenbleiben. Das erleichterte mir die Sache enorm. Leider hielt sie nicht lange. Schon das zehnte Hochreißen hat die Bremse nicht überstanden.
Nun bekam der Wagen eine Bremsstange mit einem kleinen Knopf. Um zu bremsen, drücke ich das Knöpfchen und reiße gleichzeitig die Stange nach oben. Um weiterzufahren, löse ich das Ganze wieder.
Die Deichsel kann nur liegen, was gelegentlich hinderlich ist, denn sie ist eine Stolperfalle. Darum gibt es eine Eisenkette mit einer Öse, in die man sie einhängt und die man auch immer lösen muss.
Damit ich den Wagen überhaupt ziehen kann, hängen zwei Gurte mit Schlaufen daran, die ich mir über die Schultern streife. So hat mich das Gefährt fest im Griff.
Der Wagen ist verdammt schwer. Er durfte nicht zu leicht gebaut sein, denn wir sitzen zu zweit darin, die stumme Kattrin und ich. Außen hängt allerlei Klimbim, Dinge, die eine Marketenderin im Krieg braucht: eine Trommel, Kellen, Becher, Körbe. Während der ersten Proben fuhr noch ein lebendiges Huhn im Käfig mit. Dieser Regieeinfall wurde jedoch schnell wieder vergessen, das Tier war hinderlich. Jetzt liegt nur noch Stroh in dem Eisenkorb, aber der ist überall im Wege, ich bleibe mit dem Rock daran hängen, Requisiten verfangen sich darin, aber der Eisenkorb muss bleiben. Es gibt auch ohne Huhn genug zu beachten.
Im Wageninnern liegt eine Batterie, die das Licht für einige Bilder speist. Außerdem sind die Waren darin, die ich feilbiete. Zu Beginn der Vorstellung sind sie wohlgeordnet, so dass ich alles leicht finde. Aber schon die geringste falsche Reaktion der Achse bringt sie – und demzufolge auch mich – in eine andere Lage.
Techniker, Umbaustatisten und ich bewegen ihn in der Dunkelheit und im Licht, be- und entladen ihn. Und wenn im achten Bild die Grillen zirpen, das Publikum die Stille und die Leere auf der Bühne genießt, räume ich, die Courage, mit meiner Tochter Kattrin den Inhalt des Wagens um, so dass für den zweiten Teil alles parat liegt.
Zum Beispiel die beiden Stapel mit weißen Hemden. Die einen sind präpariert, damit sie sich leicht zerreißen lassen, die anderen nicht. Ich weiß nicht, wie oft diese Stapel beim Packen verwechselt worden sind. Dass ich wieder den falschen erwischt habe, erkenne ich, wenn Martin Seifert, der Feldprediger, sich vergeblich müht, ein Hemd zu zerreißen.
Einmal fand ich die roten Absatzschuhe der Hure Yvette nicht im Wagen,
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