Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
Kanonen,
Maschinengewehre und Handgranaten.
Die Gummiknüppel zählen wir nicht!
Sie haben Polizisten und Soldaten,
die wenig Geld bekommen und zu allem bereit sind ...«
– da kann ich doch vorne nicht agieren! Wir haben alles Mögliche ausprobiert, bis Peymann sagte: »Gebt ihr doch mal irgendwas von dem Sohn.«
Man gab mir Pawels zerschlagene Brille. Ich hielt diese Brille in der Hand und fing an zu heulen. Es war die gleiche Situation, die ich in der Wirklichkeit erlebt hatte, als mein Mann gestorben war. Auch da hatte man mir seine Brille und den Ehering gegeben. Ich sah also auf diese Brille und fing an zu heulen, und Peymann sagte: »Großartig! Das isses!«
Ich konnte mich dann rasch wieder beruhigen, aber Peymann hat nie erfahren, warum ich geheult habe. Es fiel mir nicht leicht, in jeder Vorstellung erneut die schmerzliche Erinnerung zuzulassen und diese Brille zu betrachten. Aber so etwas gehört eben auch zu den Geheimnissen der Schauspielerei.
Ich erinnere mich an den berührenden Brief einer Frau. Sie schrieb, ich hätte mit dieser Szene dazu beigetragen, über den Tod des Sohnes hinwegzukommen. Nach einer Vorstellung suchte sie mich sogar auf und umarmte mich lange.
In den fünfziger, sechziger, siebziger Jahren haben viele Künstler Brecht sehr »salonig« behandelt und gesungen. Das war eine besondere, spröde Arbeitsweise, um sich auf die Gedanken, auf die Texte zu konzentrieren. Man war der Meinung, das sei die Methode der Interpretation, auf die Brecht gehofft hatte.
Ich habe viele unterschiedliche Musik-Programme gemacht. An der Volksbühne mit Usch Karusseit, mit Hilmar Thate, Rolf Ludwig. Später am Berliner Ensemble mit den »Goldenen 9«: Das waren Gisela May, Christel Gloger, Annemone Haase, Franziska Troegner, Peter Bause, Holger Mahlich, Stefan Lisewski, Ekke Schall und ich. Wir gingen auf Tournee durch Europa, sogar in Toronto sind wir aufgetreten. Und etliche Male bei Veranstaltungen der Kommunistischen Partei in Italien und Frankreich. Das war meistens lustig: Die Genossen aßen Pizza und Nudeln, tranken Wein und Bier, sie waren mächtig in Schwung, hörten dennoch zu und applaudierten. Brecht hatte schon recht: »Erst kommt das Fressen, dann die Moral.«
Wir waren wunderbar aufeinander eingespielt, kleine Pannen haben wir weggelacht. Ertönte zum Beispiel das Vorspiel für den Mackie-Messer-Song und einer schmetterte los: »Und weil der Mensch ein Mensch ist ...«, hat er nach drei Takten erschrocken innegehalten und noch mal begonnen. Das Publikum akzeptiert so etwas.
Allerdings gab es Lieder, die nur für Ekkehard Schall, den Brecht-Schwiegersohn, reserviert waren, die durften wir anderen nicht singen. Erbrecht sozusagen. Oder Vorrecht.
Derart merkwürdige Verbote haben etwas Reizvolles, man bekommt Appetit. Ich habe die verbotenen Früchte gelernt: den Surabaya-Johnny , die Hanna Cash , die Erinnerung an Marie A. . Bald gehörten sie auch in mein Repertoire.
Mit Johanna Schall trat ich lange Zeit im Deutschen Theater auf, »Von A – S« nannten wir das, von Antoni bis Schall. Ich bedaure, dass es keine Bänder, keine CD s, keine Kassetten von meinen Brecht-Abenden gibt, nur private Mitschnitte. Dabei wimmelt der Markt von Brecht-Interpretationen auf CD , die nicht immer gut sind.
Schön waren die beiden Programme, die ich mit Hans-Peter Reinecke und dem Pianisten Karl-Heinz Nehring erarbeitet habe, Vom Glück und vom großen Kotzen und Love and revolution . Damit sind wir in den achtziger Jahren durch Europa gezogen. An vielen dieser Abende habe ich selber moderiert, und zwar jeweils in der Landessprache. Hatte mal kurz in der Volkshochschule Schwedisch gelernt, bevor ich mit Pit Reinecke nach Gotland, Christiansund und Malmö ging. Ich jodelte da los, und die Leute waren glücklich. Es ist eine Reverenz an das Land, wenn man ein paar Brocken in der Landessprache sagen kann.
In Polen hab ich sogar zwei kurze Lieder auf Polnisch gesungen. Die Zwischentexte hatte ich mir von einem Polen vorsprechen lassen und in Lautschrift aufgeschrieben. An einem Abend kam ein Journalist zu mir, er bat um ein Interview, ich sagte auf Deutsch: »Entschuldigung, ich spreche nicht Polnisch.«
»Aber Sie haben doch auf der Bühne Polnisch gesprochen und gesungen!«
»Stimmt, das hat mir jemand beigebracht, ich weiß nicht, was ich da sage, weiß nur, was ich sagen wollte!«
Benno Besson kam mit seiner Kreidekreis -Inszenierung aus Paris ans BE ; ein Kollege war erkrankt, er besetzte
Weitere Kostenlose Bücher