Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
mich als Yussuf, den Schwiegersohn: »Carmen, mach du das! Den französischen Text lernst du bis morgen!« Wir spielten alle mit Strumpfmasken, also saß ich im Badezuber mit Strumpf auf dem Kopf und sprach meinen Text auf Französisch – köstlich! Das hab ich mir ebenfalls phonetisch angeeignet. Mein Glück, dass ich eine gute Auswendiglernerin bin.
Nach dem Mauerfall stellte ich mir meine eigenen Programme zusammen, darunter die Keuner-Geschichten , die Buckower Elegien und vieles andere. Brecht hat ein unerschöpfliches Repertoire hinterlassen.
Einmal bin ich in meiner ehemaligen Schule in Berlin-Adlershof aufgetreten. Heute ist die Schule eine Kulturstätte mit der großen Stefan-Heym-Bibliothek und Ausstellungsräumen. Da saßen 350 Leute, die am Ende stehend applaudierten. Sie brachten Blumen, eine Frau schenkte mir ein Foto von mir und der alten Frau Schmidt, unserer Nachbarin – das war verrückt und berührend.
Claus Peymann reagierte zunächst nicht gerade euphorisch auf meine Angebote, Brecht-Abende zu veranstalten, aber vielleicht war er am Beginn unserer Zusammenarbeit nicht sicher, ob ich überhaupt Theater spielen könne. Inzwischen musste er sich vom Erfolg überzeugen lassen, seit sieben oder acht Jahren spielen Manfred Karge und ich an vielen Samstagen auf der Probebühne des BE Brecht, und das ist immer ausverkauft.
In Augsburg, Brechts Geburtsstadt, wird seit 2010 ein Festival ihm zu Ehren veranstaltet. Im Februar 2012 trat ich dort auf. Man hatte mich zwar erst zwei Monate zuvor eingeladen, aber ich sagte gern zu, obwohl es für mich Stress bedeutete. Ich konnte meine Tochter Jennipher, Katharina Spiering, ebenfalls Schauspielerin, und den Pianisten Guido Raschke gewinnen, mit mir in aller Eile ein Programm zu erarbeiten. Zwei Generationen, drei Frauen, ein Brecht überschrieben wir den Abend. Nur leider fand sich das dann nicht in dem aufwendig gestalteten Programmheft. Wie die Menschen, die gekommen waren, Uhrzeit und Ort erfahren haben, blieb im Dunkeln, im schönen Rathaussaal war jedenfalls jeder Stuhl besetzt. Auch da gab es noch kein Programmheft, nicht mal Handzettel für die Besucher. Also habe ich uns vorgestellt, dann spielte Reschke die ersten Töne und wir – alle drei in schlichtem Schwarz – begannen. Als ich Diese Arbeitslosigkeit vortrug und anmerkte: »Brecht, 1928«, raunte es hörbar im Saal. Und beim Wiegenlied einer deutschen Mutter sah ich zwei Frauen weinen.
Nach dem Konzert fragte mich ein Besucher, ob ich Brecht gekannt habe. Innerlich musste ich grinsen. »Ja«, hab ich gesagt, »ich durfte ihm einmal einen Blumenstrauß überreichen, meine Schule trug nämlich seinen Namen. Ich war elf und hatte weiße Kniestrümpfe an.«
Die Kritiken versöhnten uns mit der fehlenden Ankündigung. Zum Beispiel stand in der Augsburger Allgemeinen : »Die drei Sängerinnen Carmen-Maja Antoni, Jennipher Antoni und Katharina Spiering, begleitet von Pianist Guido Raschke, trugen die Lieder Brechts mit Hingabe vor ... Es fand sich kein falsches Pathos in der Stimme, dafür ... eine gute Portion Schalk, weil die Pointen von Brechts Aphorismen einfach saßen ...« Und: »... Ein durch und durch gelungener Abend und ein stehend applaudierendes Publikum – d e r Brecht-Abend.«
Übrigens wurde ich, ebenfalls kurzfristig, gebeten, für die zwar groß angekündigte, aber verhinderte Marianne Faithfull einzuspringen. Sie sollte an einem Abend im Goldenen Saal auftreten, in dem ungefähr 900 Menschen Platz finden. Da musste ich passen. Zumal ich am Vorabend und am Abend danach im Berliner Ensemble Vorstellung hatte. Nur kurz einfliegen, um allein einen ganzen Abend zu gestalten – nein, so etwas muss gründlich vorbereitet werden. Vielleicht wäre es zu schaffen gewesen, wenn Johanna Schall mitgemacht hätte. Doch Johanna singt nicht mehr. Schade.
Aber bei der Eröffnung des Festivals sang ich zwei Brecht-Lieder: die Kinderhymne Anmut sparet nicht noch Mühe , die eigentlich die ideale Nationalhymne für das vereinte Deutschland gewesen wäre, und aus der Courage das Lied von der großen Kapitulation . Auch das war zeitlich eng. Am anschließenden Empfang konnte ich nicht teilnehmen, musste zurückfliegen. Mein Theater hatte nämlich vergessen, dass ich Urlaub eingereicht hatte. Als ich heimkam, meldete mir der Anrufbeantworter: Die Vorstellung fällt aus. Dass ich immer über Handy zu erreichen bin, war irgendjemandem entfallen.
Auf dieser Eröffnungsveranstaltung zeigte man einen
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