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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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an!« Oder: »Den Rock von einer Frau Felicitas Ritsch? Ich bin Frau XYZ – den Rock will ich nicht!«
    Ignoranten, die sich nicht für die Künstler des Theaters interessierten, an dem sie gerade arbeiteten, das aber schon vor ihrer Zeit bekannt, berühmt und gefeiert worden war.
    Als Peymann Die Mutter inszenierte, wurde für mich ein Proben-Rock gesucht, einer mit Charme und Flicken. Er sollte nicht zu lang sein, ein festes Gewebe haben, musste alt aussehen. Endlich war einer gefunden worden. Ich probierte ihn an, er gefiel mir und auch Peymann. Nach der Probe zog ich ihn aus und entdeckte ein kleines weißes Baumwollschild. Unauswaschbar stand da »Heli«. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich bekomme die erste Rolle, die auch die Weigel gespielt hatte, und trage ihren Rock! Das waren in doppeltem Sinne große Fußstapfen!
    Die neue Garderobiere deutete jedoch meine Rührung völlig falsch. Sie sagte: »Oh, da ist ein falscher Name drin, das ändere ich noch!«

»... die singt, wie Papa es wollte«
    Ich singe, seit ich denken kann. Gesangsunterricht hatte ich nie, aber es gab im Berliner Ensemble die Möglichkeit, einmal in der Woche Sprecherziehung zu nehmen, und in diesen Stunden konnte man auch singen – eine komfortable Einrichtung, die ich selbstverständlich genutzt und mir dadurch ein großes Repertoire erarbeitet habe.
    Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass der Vortrag von Brecht-Liedern vor allem Persönlichkeit verlangt, wie Paul Dessau das einst erwähnt hatte. Es braucht keine aufwendige Garderobe, keine Schminke, aber man muss Haut zeigen, sich öffnen. Diese Lieder haben eine Botschaft, eine Idee, mit der ich mich identifizieren kann. Aus den einfachen Texten, dieser klaren, schnörkellosen Sprache, der Musik von Eisler, Weill und Dessau notengetreu Kunst zu machen, die das Publikum berührt, ist eigentlich nicht zu schwer, aber sehr schwer. Und ich habe irgendwann entdeckt, dass Brecht durchaus das große Gefühl verträgt, wenn man es auf den Punkt genau bietet.
    In jedem seiner Stücke gibt es Lieder, ich begreife sie als Monologe, behandle sie wie eigenständige, kleine, poetische Geschichten, die tief aus dem Inneren kommen. Das Stück ist der Rahmen, die Lieder sind die Mosaiksteinchen, die den Rahmen zum Leuchten bringen.
    Die Seeräuber-Jenny aus der Dreigroschenoper zum Beispiel ist eine Anarchistin, sie sagt nie: Meine Herren, ich hab so ne große Wut im Bauch! Nein, dieses Küchenmädchen singt ihre Drohung, wie nicht für fremde Ohren bestimmt: »Und ein Schiff mit acht Segeln und mit fünfzig Kanonen wird liegen am Kai.«
    Oder die Mutter Courage : Ihr Song Von der Kapitulation ist existenziell, weil sie damit sagt: Entschuldigt, dass ich mich so fies benehme, ich muss mich so verhalten, sonst komme ich nicht durch.
    Oder die große Liebende, die den alten Surabaya-Johnny anfleht:
    »Wie du dastehst und grinst, Johnny,
    nimm die Pfeife aus dem Maul, du Hund. ...
    Surabaya-Johnny, warum bin ich nicht froh?
    Du hast kein Herz, Johnny, und ich liebe dich so.«
    Das würde sie ihm doch niemals gestehen! In der Ballade von der Hanna Cash heißt es:
    »Und wenn er hinkt und wenn er spinnt,
    und wenn er ihr Schläge gibt:
    Es fragt die Hanna Cash, mein Kind,
    doch nur: ob sie ihn liebt.«
    Die Frauen lassen sich schlagen, treten, misshandeln, aber sie bleiben bei den Kerlen. Erst wenn gar nichts mehr geht, wenn alles zu spät ist, dann geben sie zu, wie mies sie behandelt worden sind. Dennoch: steht der Kerl wieder vor ihr, ist alles beim Alten.
    Das sind ehrliche, kraftvolle Lieder, die müssen ehrlich und kraftvoll gesungen werden. Denn auch das Böse, die dunkle Seite, gehört zu uns.
    Brecht-Interpretation verlangt punktuell Emotionen. Einen Lachkrampf kriegen oder minutenlang schweigen – nicht spielen, sondern wirklich empfinden, sonst kommt es nicht über die Rampe. Auch Tränen kannst du nicht lügen. Entweder du weinst, oder du tust, als ob du weinst, dann sieht man das.
    Solche Emotionen habe ich weder bei Therese Giehse, noch bei Helene Weigel, noch bei Gisela May gesehen. Ich habe es probiert und zugelassen.
    In Peymanns Inszenierung der Mutter hört man in einer Szene im Hintergrund Pawel, den toten Sohn, mit dem Lied für alle, die verzagen wollen. Ich, die Mutter, stehe auf der Bühne, und der Parteisekretär bringt mir die Botschaft vom Tod meines Sohnes. Wie nimmt man so eine Nachricht auf? Hinter mir sang Markus Meyer ergreifend:
    »Sie haben Tanks und

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