Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
kurzen Film, den der Künstlerische Leiter des Festivals, Joachim Lang, einige Zeit zuvor in Berlin gedreht hatte. Es war die letzte Szene aus der Mutter Courage : Nach dem Tod der stummen Kattrin ziehe ich den Wagen über die Bühne des BE ; darüber sieht man – synchron mit mir – Helene Weigel in einer ihrer letzten Vorstellungen ihren Wagen ziehen. Wir beide drehen auf der Bühne eine Runde und gehen weg in den Horizont. Joachim Lang sprach von mir als der »besten lebenden Brecht-Interpretin«. Und Barbara Brecht-Schall, die mit ihrer Tochter Johanna neben den bayerischen Honoratioren in der ersten Reihe saß, soll geurteilt haben: »Ja, ja, die singt schon so, wie es Papa wollte.«
Worte für Pit Reinecke
Auch Pit lebt nicht mehr. Im November 2005 haben wir ihn auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof begraben. Er war gerade mal 64. Aufgewachsen in einer Schauspielerfamilie, ein Kriegskind. Er klaute Kohlen und Brot, wurde Zimmermann, arbeitete als Puppenspieler und Bühnenarbeiter, bevor er Schauspiel studierte. Ein Kerl wie ein Baum, von sprühender Heiterkeit, anrührend und bodenständig. Wir haben viel miteinander gelacht, vor allem aber gut zusammen gearbeitet.
Wer die DDR -Polizeiruf-Krimis gesehen hatte, wer für Jakob der Lügner , Nikolaikirche oder Spur der Steine ins Kino gegangen war, kannte sein Gesicht.
Als ich 1975 ans BE kam, gehörte er dort seit sechs Jahren zum festen Stamm. Unvergessen sein Pawel in der Mutter ; wie er das Lied sang:
»Aber als er zur Wand ging, um erschossen zu werden
Ging er zu einer Wand,
die von seinesgleichen gemacht war ...«
– als könne er seine Fesseln selber sprengen. Gänsehaut haben die Zuschauer bekommen. Oder sein Matti, ich war die Eva, wie er den Hatelmaberg baute, schwerste Teile schleppte und dabei parlierte und protestierte gegen seinen Herrn, dass die Schwarte krachte. Er war der fairste Gegenspieler seines Herrn Puntila Ekkehard Schall und der lustigste Schweyk.
Oder als das Fünfer-Gremium eingezogen war und Peter Zadek ihn besetzte im Kaufmann von Venedig und in Antonius und Cleopatra : Zadek verteilte zur Einführung in die beiden Stücke Bücher in englischer Sprache mit Kupferstichen, die über Shakespeare erzählten. Pitte schaute sich das lange an, dann sagte er: »Det is schade, dass er nich ooch Buntstifte austeilt, da könnte ick wenigstens die Bilder ausmalen.«
Vergnüglich die Kneipenabende mit ihm, an denen er »ein Bier und einen Chantré« bestellte und die Kellnerinnen irritierte. Überhaupt seine Frauengeschichten! Er war ein »Schentelmen« – stets großzügig, aber auch stets kampfbereit, wenn es eine Frau zu beschützen galt. Und wenn man vor Kummer halb umkam, tröstete er: »Det Leben is manchmal janz schön schwer, aber et is ooch schön!«
Legendär war seine Schlagfertigkeit. Als er eines Abends im Prinz von Homburg seinen Text nicht parat hatte, sprach er stattdessen: »Ich bin dabei ...« – einen Satz aus dem Stück Rotter . Hinter der Bühne entschuldigte er sich betroffen: »Bin ick froh, dass ick noch in so vielen anderen Stücken spiele, sonst hätt ick ja nich jewusst, wat ick sagen soll.«
Unvergessen auch unsere Brecht-Programme, bei denen er mit seinem gewaltigen Bass die Brecht-Fans begeisterte. Und mich liebevoll »Chefin« nannte.
Bei einer England-Reise mit Charly Nehring gaben wir der BBC London ein Interview, das auch in den USA lief. Und in der New York Times vom 23. Oktober 1991 erschien eine Lobeshymne: »Zwei Schauspieler des Berliner Ensembles, Carmen-Maja Antoni und Hans-Peter Reinecke, belebten den etwas eingestaubten Zynismus der Brecht-Lieder, die die Zivilisation auf den Prüfstand stellen, und das sinnbildlich repräsentiert durch den Dreigroschenoper -Song Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens . Erfrischend, ohne Didaktik ließen die beiden Künstler Brechts Lieder mit der Musik von Weill und anderen für sich sprechen. Sie sangen Liebeslieder voller Hoffnung, die sich gegen eine Welt wenden, in deren Mittelpunkt nur Eigennutz steht. Reinekes zwanglose Interpretationen stehen in einem bewundernswürdigen Kontrast zu anderen Brecht-Interpreten, die ihren Akzent nur auf die direkte Schärfe legen. Gelegentlich gibt die resolute Antoni englische Erläuterungen, wie zum Beispiel, dass Brecht ›in finsteren Zeiten über finstere Zeiten sang‹. Begleitet von Karl-Heinz Nehring am Klavier, fegten sie durch mehr als dreißig Songs, um dann im furiosen Finale bei der
Weitere Kostenlose Bücher