Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
werden. Das scheiterte, er studierte Architektur. Brotlos sind heute beide Berufe. Jacob baute mir also in Toronto aus ein paar Latten und Pappen, die er bemalte, ein wunderbares Bühnenbild, denn auch dort ist das Geld knapp. Er sorgte für gutes Licht, das den improvisierten Charakter der Bühne kaschierte, er fuhr den Ton. Und er übersetzte einige Passagen aus dem Kanonensong neu ins Englische; es gab irgendwo ein paar Silben zu viel oder zu wenig; er hat eine Nacht lang ziemlich geschwitzt, wie er mir später gestand. Er engagierte sich unendlich, war voller kreativer Einfälle, schuf praktisch etwas aus dem Nichts. So konnte ich mich auf die Studenten konzentrieren. Außerdem dolmetschte er für mich, da mein Englisch noch lange nicht so toll war wie seins. Wir bildeten ein perfektes Team.
Diese Arbeits-Momente mit jungen Menschen, auch oder besonders mit meinen eigenen Kindern, sind Zuckerstückchen für meine Seele.
Erlesene Lesungen
Eigentlich schäme ich mich nachträglich ein wenig, denn ich muss in dieser Geschichte einen Hauch von Unehrlichkeit zugeben, die mir eigentlich zuwider ist.
Es war kurz nach der Wende, ich wusste nicht wirklich, ob und was sich verändert in meinem Beruf, gedachte jedenfalls, mit Lesungen mein Haushaltsbudget aufzubessern. Das begann auch hoffnungsvoll. Wider Erwarten blieben mir die anderen Verpflichtungen erhalten, also griff ich eines Abends, als ich in Marzahn eingeladen war, in meinem üblichen Tempo, nämlich hypereilig, die vorbereitete Lesemappe und machte mich auf den Weg. Das Thema des Abends lautete »Berlin in Veränderung«. Am Veranstaltungsort angekommen, packte ich meine Tasche aus und fand nichts zu Berlin in Veränderung, sondern die Mappe »Die goldenen Zwanziger«. Da wird einem heiß und kalt, da rumoren die Gehirnzellen. Sollte ich zugeben, dass ich die Mappen vertauscht hatte? Nein, unmöglich.
Fieberhaft suchte ich ein paar Texte von Kurt Tucholsky und Mascha Kaléko, die zwanziger Jahre boten genügend Veränderung in Berlin, doch die Ausbeute war dürftig, drei Gedichte. Die Veranstalterin stellte mich vor, es ging los.
Ich las die drei Gedichte. Dann legte ich den Text beiseite und erzählte, wie unpersönlich und langweilig oft Lesungen seien, gerne würde ich mich mit meinem Publikum unterhalten, damit man sich ein wenig kennenlerne. Die Leute könnten mich alles fragen, ich würde gern antworten, und lesen könnte ich später immer noch. Es entstand eine kleine Pause, ich lächelte ungeniert ins Publikum, und plötzlich gingen die Hände hoch. Es hagelte Fragen über meine Filmarbeit, über das Theater, über Politik – es wurde eine heiße Diskussion. Nach mehr als einer Stunde schaute die amüsierte Veranstalterin auf die Uhr und sagte, das sei ein wunderschöner Abend, »aber seien Sie uns nicht böse, Frau Antoni, vielleicht reden wir noch weitere zehn Minuten, lassen das Lesen und Sie besuchen uns später noch einmal?« Wir redeten also weiter, dann packte ich die Mappe mit den »Goldenen Zwanzigern« ein und freute mich. Das war eine wunderbare ungelesene Lesung!
Ein anderes Mal – das Thema des Abends hatte irgendwas mit großen Männern zu tun – las ich mit meiner Tochter. Ich hatte von Stefan Heym Immer sind die Weiber weg ausgesucht. Ich weiß nicht, wie es geschehen konnte, plötzlich fehlten mir die letzten beiden Seiten des Textes, sie waren einfach weg. Ich merkte es schon beim Umblättern. Unter dem Tisch stieß ich mit dem Knie Jenny an, wir scharrten in den Papieren, erfolglos. Ich schaute ins Publikum und versuchte, die Geschichte aus dem Kopf zu Ende zu bringen. Die Leute schienen erstaunt über diese Art der Lesung, aber ich hielt tapfer durch bis zum Ende. Meine Tochter gackerte vor sich hin. Zwei Geschichten später fand ich die vermissten Blätter und las doch noch das richtige Ende vor. Glücklich atmete ich aus, das Publikum applaudierte, dann setzte die Musik ein, der Titelsong aus dem Film Solo Sunny sollte es werden. Jemand hatte die falsche CD eingelegt, es erklang die Stimme von Zarah Leander. Manche Lesungen sind einfach seltsam.
Es kann aber noch schlimmer kommen. Vor einigen Jahren rief mich eine Dame an, sie bat mich und meine Tochter inständig, vier Tage vor Weihnachten in einer kleinen Kirche irgendwo im Brandenburgischen zu lesen. Es gäbe auch eine Gage, sagte sie, nicht viel, aber es sei so wichtig und das Publikum wundervoll, und schließlich brauche das Land doch Kultur. Ich ließ mich
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