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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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guten Gewissens beruhigen: »Ein fantasievolles Kind! Lassen Sie es noch ein Jahr spielen, sie ist ja noch nicht mal sechs!« Das fantasievolle Kind machte später ein glänzendes Abitur.
    Als die Kinder sieben und neun Jahre alt waren, wollten sie zum ersten Mal ins Ferienlager fahren. Alles war organisiert, die Koffer gepackt, wir saßen in der S-Bahn nach Lichtenberg, ab Ostkreuz stierten beide aus dem Fenster und fingen plötzlich bitterlich zu weinen an. Sie wollten doch nicht ohne Mama oder Papa verreisen. Also machten wir kehrt, fuhren zu viert in den Harz, und es wurde ein schöner Sommer.
    Obwohl knapp drei Jahre auseinander, sahen sich die Kinder damals sehr ähnlich. Fremde auf einer öffentlichen Toilette fühlten sich gelegentlich bemüßigt, den langhaarigen Sohn auf das Damenklo zu verweisen, die kurzhaarige Tochter zu den Herren.
    Von einem Gastspiel brachte ich meinem Sohn ein Matchboxauto mit Campinganhänger mit, das er sich gewünscht hatte. Er übte mit diesem Spielzeug unermüdlich einparken. Jahre später beobachteten wir auf einem Parkplatz an der Ostsee, wie ein Mann versuchte, seinen Wartburg samt Campinganhänger in eine Parklücke zu bugsieren. Jacob schaute interessiert zu, der Mann schien am Ende mit seinem Latein, seine Frau saß entnervt am Rand. Jacob, damals vierzehn, ging zu dem Mann und sagte: »Ich kann das, darf ich das machen?« Der schaute entgeistert, sollte er einen Zwerg an sein Auto lassen? Nein danke! Mein Mann fragte unseren Sohn in bestimmtem Ton: »Kannst du das wirklich?« Jacob bejahte: »Ich habe das so oft geübt, Papa.« Der hilflose Wartburg-Fahrer gab nach, Jacob setzte sich hinter das Steuer, mein Mann auf den Beifahrersitz, und Jacob parkte ein. Nicht nur der fremde Mann war sprachlos. Und mein Sohn mindestens vier Zentimeter gewachsen.
    Wir hatten einen Rosenkopfpapagei, Schnicki. Nach der Wende bekam er aus einer aufgelösten Zoohandlung einen verwaisten Kumpel namens Olli, einen Zwerghasen Gizmo und einen Nachrichtenhund aus Pappe. Schnicki war eine Handaufzucht, das bedeutet, er fühlte sich am wohlsten auf einer Hand. Fliegen war nicht sein Ding. Er konnte Schulhefte und Klassenarbeiten in exakte Streifen zerlegen, er frühstückte Schokobrötchen auf unseren Schultern, saß gern auf unseren Köpfen und erkundete auf kleinem Rundflug Salate und Kochtöpfe, und er rupfte sich seine Federn aus. Er knabberte am Ohr, hatte immer heiße Füßchen und wurde so alt wie Methusalem. Der neue Olli interessierte ihn nicht, der lebte getrennt von ihm im Käfig und starb, als das Haus hinter uns einer Abrissbirne zum Opfer fiel.
    Der Hase wurde ebenfalls steinalt, leider gab es noch kein Rekordverzeichnis für die Lebensdauer von Zwerghasen. Ein einmaliges Tier, er hörte aufs Wort, fraß weder Kabel noch Tapete, war weiß wie Schnee und schlief nachts zwischen den Kuscheltieren der Kinder. Im höchsten Wohlfühl-Rausch schmiss er sich auf den Rücken, streckte alle Viere von sich und verharrte regungslos in dieser Stellung, er stellte sich tot vor Glück. Alle waren verliebt in ihn. Nur zu Weihnachten benahm er sich wie ein Hase. Er rannte wie bekloppt um den Weihnachtsbaum und erinnerte sich wahrscheinlich an seine Urahnen im Wald. Saß in Hockstellung stundenlang vor der Tanne und schnupperte. Als er im Schoß meiner Tochter gestorben war, beerdigten wir ihn in Omas Garten unter einer Tanne. Die ging drei Monate später ein.
    Unser Hund war aus Pappmaché, er hielt Nachrichten für die Familie bereit. Da wir zu unterschiedlichen Zeiten von der Schule, der Arbeit, aus dem Theater nach Hause kamen, wurden wichtige Mitteilungen auf Zettel geschrieben, am Hund befestigt und dann irgendwo versteckt – in einem Schrank, hinter einem Vorhang, im Küchenregal. Unsere große Wohnung bot unzählige Verstecke. Lag ein Zettel im Korridor »Geh mit dem Hund aus«, verhieß das eine wichtige Sache, man musste das Vieh sofort suchen.
    Zwölf Jahre Schule, da gibt es viel zu erzählen. Von einem Gastspiel in Griechenland hatte ich meinem Sohn ein blaues Nicki mit der aufgedruckten Akropolis mitgebracht. Es hieß damals Nicki, denn T-Shirts kamen aus Amerika. Am nächsten Tag sollte die Klasse fotografiert werden, und Jacob wollte unbedingt das neue Stück anziehen. Auf diesem Foto tragen alle Kinder Pionierkleidung, nur Jacob nicht. Ein Jahr später, in der dritten Klasse, kam wieder ein Fotograf in die Schule. Mein Sohn zog freiwillig das Pionierhemd samt blauem Tuch an. Auf

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