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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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diesem Foto ist er der einzige in Pionierkleidung, alle anderen trugen Nickis.
    Meine Tochter las viel, mein Mann empfahl ihr Bücher und sie sprachen dann darüber. Einmal nannte ihr Lehrer sie »mein liebes Mädel«, sagte auch zu den anderen »Mädels«, worauf Jenny bemerkte: »Das ist die Sprache des Dritten Reiches und jetzt nicht erwünscht, das weiß ich aus › LTI ‹.« Sie meinte Victor Klemperers Buch Lingua Tertii Imperii , das in der DDR viel gelesen wurde. Abends erschien ein aufgelöster Lehrer bei uns zu Hause, den wir aufklärten und trösteten.
    Häufig gerieten wir mit dem Abschnittsbevollmächtigen aneinander. An meinem vierzigsten Geburtstag startete mein Mann von unserem Balkon unter dem Gejohle und Beifall von Familie und Gästen eine Rakete für mich. Kurz darauf kam er herbei, der ABV , sehr ernst, er müsse Anzeige erstatten, wir hätten gegen das Sprengmittelgesetz der DDR verstoßen und dem Feind ein Lichtzeichen gegeben. Meinen Geburtstag ignorierte er, aber Tage später lag tatsächlich eine Verwarnung im Briefkasten mit der Aufforderung, ein Ordnungsgeld von 250 Mark zu zahlen.
    Stillbüstenhalter waren damals schreckliche Baumwollteile, unpraktisch und antierotisch. Beim ersten Baby habe ich das Ding gehasst, beim zweiten noch mehr. Meine kleine Tochter war fünf Monate alt, ein Gastspiel stand an, also musste ich abstillen. Wir wohnten in der achten Etage eines Hochhauses, und eines Tages warf ich in einem meiner Temperamentsausbrüche diesen BH aus dem Fenster. Er fiel auf die Wiese, auf der immer mal Hunde herumtollten. Als ich dem BH hinterhersah, erblickte ich zwei Hunde, die sich um mein gutes Stück rissen. Am nächsten Tag traf ich eine Nachbarin, die berichtete: »War der ABV auch bei Ihnen? Er hat alle Mieter vor einem Wäsche-Fetischisten gewarnt, man hat schon Wäscheteile gefunden.«
    Alle Jahre wurden wir vor dem 1. Mai von der Hausgemeinschaftsleitung aufgefordert, eine Fahne aus dem Fenster zu hängen. Wir hatten einmal auf einem Trödelmarkt aus Jux eine Fahne von einer alten Schlachterei mit der Aufschrift »Frische Wurst« erstanden. Die hängte mein Sohn nach einer solchen Mahnung aus dem Fenster. Und so leuchtete an unserem Hochhaus zwischen all dem Schwarz-Rot-Gold mit Hammer und Sichel das strahlende Weiß mit der Wurst. Und wer stand kurz darauf aufgebracht in der Tür? Der ABV . Ich will das Gespräch nicht wiedergeben, aber es endete mit meinem Spruch: »Sie sind mir zu blöde.« Das war mir so rausgerutscht, eigentlich wollte ich sagen, »das ist mir zu blöde«, so jedoch war es Amtsbeleidigung mit entsprechenden Folgen und einer saftigen Rechnung.
    Auch die folgende Episode vergesse ich nicht. Mein Mann liebte Zitate. Es gab in unserer Familie jeweils einen Spruch der Woche, der bezog sich auf die aktuelle Lage, das Wetter, auf unsere Stimmung, war gedacht zur Erbauung oder Bildung. Er wurde beim Montagsfrühstück verkündet und mehrmals in der Woche angewandt, um uns zu erfreuen, zu lachen, um ihn zu behalten.
    An der Tür klingelte wieder einmal ein ABV , mein Mann war schon leicht gereizt, es war sein freier Tag, und er wollte in Ruhe lesen. Der ABV fragte ihn, ob er nicht wüsste, wann der Nachbar zurückkäme, denn ... Mein Mann unterbrach ihn mit seiner tiefen Stimme: »Wissen Sie, man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können«, und schloss die Tür vor dem verdutzten Frager.

Rosarothe Zeiten
    In den neunziger Jahren erging es mir wie vielen Menschen in unserem Land, immer wieder kreisten die Gedanken um die Existenz – Standbein, Spielbein, was ist möglich, was einigermaßen verlässlich?
    Überraschend wurde ich zu einem Casting eingeladen, meinem ersten Casting im Westen, eine Chance für eine Fernsehrolle. Es fand statt in einem Westberliner Hinterhof, ein Raum, eine Kamera. Der Regisseur Carlo Rola stellte sich kurz vor. Ich wusste, dass er früher eine Regieassistenz bei Ruth Berghaus hatte, das fand ich schon mal sympathisch.
    Er informierte mich kurz: »Es geht um eine Krimi-Reihe für das ZDF . Ich suche eine bodenständige Person mit vielen Facetten, die zu unserer Kommissarin passt. Die spielt Iris Berben. Erzählen Sie von sich oder irgendeine Anekdote oder auch einen Witz. Also bitte los.«
    Dass sich Iris Berben eine unverwechselbare, erwachsene Frau an ihre Seite gewünscht hatte, erfuhr ich erst später.
    Die Kamera lief. Ich parlierte, lachte, erzählte und war wahnsinnig aufgeregt, ließ mir

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