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Im Leben wird dir nichts geschenkt.

Im Leben wird dir nichts geschenkt.

Titel: Im Leben wird dir nichts geschenkt. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Nielsen
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augenblicklich rasendes Herzklopfen, und sobald die Schule aus war, rannte ich davon, als ginge es um mein Leben – und das tat es auch irgendwie. Sechs Jungen jagten mir hinterher, und ich suchte schließlich in einem Wohnblock Zuflucht, wo ich bei wildfremden Leuten an die Tür donnerte. Zum Glück ließ mich eine freundliche Dame herein, die meine Eltern für mich anrief. Ausnahmsweise ging die Sache gut, und die Tracht Prügel blieb mir erspart. Nach diesem Vorfall wechselte ich die Schule, was aber auch die Trennung von Liselotte nach sich zog, und so musste ich einen neuen Anfang machen.
    Ich litt an psychosomatischen Magenschmerzen, doch wenn ich nach Hause kam, aß ich trotzdem pünktlich um sechs und machte danach sauber. »Wie läuft’s denn so?«, fragten meine Eltern dann, und ich antwortete »gut«. Wir redeten zu Hause nicht mehr, als ich in der Schule mit den Lehrern sprach – ich hatte nicht diese innige Beziehung zu meinen Eltern oder meiner Großmutter. Ich brachte immer gute Noten heim, und so ahnten sie nichts. Nach dem Abendessen mussten Jan und ich gewöhnlich in unser Zimmer hochgehen. Wir bekamen keinen Besuch von Freunden, und ich erinnere mich, dass ich meine Mum eigens darum bitten musste, bevor ich einen Gutenachtkuss bekam. So war das nun mal in meiner Familie.
    Wenn also ausgerechnet ich gefragt wurde, ob ich ein Model werden wollte, musste ein Haken an der Geschichte sein. Mein erster Gedanke war, dass ich mich ausziehen oder für irgendeine Pornozeitschrift herhalten sollte. »Ich muss zuerst meinen Dad fragen«, sagte ich zu ihr, und das wurde meine Standardantwort auf jedes Arbeitsangebot, bis zu dem Tag, an dem er starb. Sie gab mir ein Gefühl der Sicherheit. Außerdem wollte ich mir die Sache wirklich erst einmal durch den Kopf gehen lassen. Auf keinen Fall wollte ich meinen Mitschülern zusätzlich Gelegenheit geben, mich auszulachen, wenn nichts Gescheites daraus wurde. Nachdem ich nun schon so lange als hässlich und dämlich galt, hatte ich starke Selbstschutzmechanismen entwickelt, wenn es darum ging, sich nicht noch lächerlicher zu machen als ohnehin schon.
    »Verstehe«, sagte die Frau, »hier ist erst mal eine Broschüre, in der alles steht, was wir machen. Rufen Sie mich an, wenn Sie mit Ihren Eltern gesprochen haben.« Sie lächelte noch einmal ermutigend und verschwand in der Menschenmenge der Kopenhagener Innenstadt. Ich war es nicht gewohnt, so aufgeregt zu sein, und einen Moment lang fühlte ich mich wie in Trance, bevor sich die Erde weiterdrehte und ich den Hintergrundlärm auf dem Platz wieder hörte. Bestimmt lauerte der Rest meiner Klasse hier irgendwo, um jeden Moment herauszuspringen und mir zu stecken, das sei nur ein weiterer Streich gewesen, den sie der Giraffe spielten. Doch es tauchte niemand auf. Die übrige Stadt ging weiter ihren Geschäften nach, und das Universum schien seinen gewohnten Lauf zu nehmen.
    Susanne sah mich an, als könnte auch sie nicht ganz glauben, was eben passiert war. Sie war die Hübsche, doch sie war nicht missgünstig oder so. »Gitte, das musst du machen!«, sagte sie. »Das ist unglaublich!« Sie freute sich wirklich mit mir und ergriff aufrichtig meine Hand. Ich liebte Susanne – sie war das einzige Mädchen, das ich kannte, dem ich wirklich trauen konnte.
    Inzwischen wurde es wirklich spät, und wir mussten rennen, um den Bus zu bekommen und pünktlich nach Hause zu kommen. Auf der ganzen Fahrt hatte ich nur Augen für die Plakate, an denen wir vorbeikamen. Überall schöne Frauen, welche die unterschiedlichsten Produkte bewarben. Sie lächelten mich im Bus an, von den Straßen, hoch oben von Gebäudefassaden … makellose Geschöpfe von einem anderen Stern.
    Mir rutschte das Herz in die Hose, weil ich auf einmal fest davon überzeugt war, dass die Begegnung von vorhin nur ein Missverständnis sein konnte. Wie sollte ich jemals irgendwo dort hängen? Ich warf noch einmal einen Blick auf die Broschüre und fand, dass sie ein wenig billig aussah. Ich bereitete mich seelisch auf das Schlimmste vor, um mir mein geringes Selbstwertgefühl zu bestätigen.
    Meine Eltern reagierten unglaublich positiv auf die Neuigkeit. Selbst mein Dad, der stets ein konventionelles Leben geführt und als Ingenieur ein praktischer, ordentlicher Mensch war, freute sich. Ich hatte die zehnte Klasse mit Bestnoten abgeschlossen, und nachdem er ausführlich mit Trice Thomsen, der Direktorin von Copenhagen Models, telefoniert hatte, gab er mir seine

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