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Im Leben wird dir nichts geschenkt.

Im Leben wird dir nichts geschenkt.

Titel: Im Leben wird dir nichts geschenkt. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Nielsen
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Dank erklärte ihnen mein Dad, die OP käme überhaupt nicht in Frage. Wir würden weiter daran arbeiten, meinen Zustand zu verbessern, doch meine Eltern würden auf keinen Fall das Risiko eingehen, dass ich einen dauerhaften Schaden davontrug.
    Auch im Mund hatte ich Probleme: Ich trug eine Spange und musste mir sechs Zähne ziehen lassen – man konnte Fahrräder in den Lücken parken, es war ein Albtraum! Jetzt konnte ich nicht einmal lächeln, wenn ich mein überlanges Bein durch die Gegend schleppte und versuchte, nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Ich gab kein gutes Bild ab, und das passierte alles zur selben Zeit. Ich war wirklich nicht glücklich.
    Ich versuchte das zu kompensieren, indem ich sehr hart arbeitete. Außerdem besorgte ich mir eine Stelle in der örtlichen Bücherei, um mir selbst etwas zu beweisen. Zudem hatte ich die besten Noten, darunter zwei »13« – die man nur bekam, wenn man so gut war wie der Lehrer. Darüber war ich unendlich glücklich. Als mein Deutschlehrer fragte, ob sich jemand freiwillig meldete, sämtliche unregelmäßigen Verben zu lernen, zeigte ich auf und erklärte mich bereit, sie übers Wochenende einzupauken. Es waren über zweihundert, und der Lehrer hielt das für unmöglich. Ich sagte, ich würde es machen, wenn er am Montag der ganzen Klasse Eis spendierte. Ich büffelte das ganze Wochenende, und in der nächsten Stunde konnte ich sie perfekt. Zum ersten Mal bekam ich von allen Hochrufe: »Dank Gitte gibt es Eis!« Ich war so glücklich und stolz – es war einer der glücklichsten Tage in meiner gesamten Schulzeit.
    Meistens aber zog sich mir der Magen zusammen, besonders wenn es in die Pause ging. Auf dem Schulhof war ich immer allein, und die anderen Kinder lachten oft auf meine Kosten. Selbst wenn ich heute über meine Schulzeit schreibe, habe ich wieder dieses mulmige Gefühl, wenn ich nur daran denke, wie es damals war. Das war mein größter Kummer. Selbst meine Gesundheitsprobleme waren nicht halb so schlimm wie das Bewusstsein, ausgestoßen zu sein. Manche Mädchen verteilten Einladungen zu ihren Geburtstagsfeiern und sie taten es mit Bedacht an alle in meiner Umgebung, und jeder konnte sehen, dass ich nicht erwünscht war. Noch schlimmer war es morgens nach dem Ereignis: Sie sorgten dafür, dass ich in Hörweite stand, wenn sie darüber sprachen, wie schön es gewesen war, was sie gespielt und wie viele Geschenke sie bekommen hatten. Abends, bevor ich zu Bett ging, weinte ich sehr oft, und ohne die Freundschaft mit Liselotte und den Gedanken an meine geliebten Pferde wäre ich wohl durchgedreht.
    Ich habe mich so lange als anders und nicht richtig empfunden, dass mir meine Schulzeit aus heutiger Sicht wie ein einziger großer Nebel erscheint. Die anderen tuschelten über mich, selbst dann, wenn ich gar nicht da war. Ich sah es an der Art, wie die Leute mich ansahen, wenn ich den Raum betrat, dass sie gerade über mich geredet hatten. Es hörte nie auf. Ich rieb mich wund an dem Gespött, besonders, wenn sie mitbekamen, dass sie mir wehgetan hatten. Ich weiß noch, wie ich auf dem Schulhof vor ihrem bösartigen Gekicher weglief, über meine eigenen schlaksigen Beine stolperte und mir die Jeans zerriss und die Knie aufschürfte. Das Gelächter wurde hysterisch, als ich mich aufrappelte und davonhinkte. Besonders hart war der Heimweg im Winter, da mich die anderen Kinder mit harten Schneebällen bewarfen. Sie lauerten mir auf, und jeden Tag war es dasselbe. Wir kamen alle an dieselben weiterführenden Schulen in der Nähe, und so wurde es, auch als ich älter wurde, nie besser.
    Dabei wussten die Lehrer, was vor sich ging. Es war anders als heute, wo so etwas ernst genommen und entsprechend aufgegriffen würde. Heute würden die Eltern bestellt und Konferenzen abgehalten werden. Damals musste man selbst zusehen, wo man blieb. Man fällt, man steht wieder auf, das Leben geht weiter. Wir wissen, wie gemein Kinder sein können, doch damals interessierten sich die Erwachsenen einfach nicht dafür, wie schlimm das für die betroffenen Kinder war, sie hörten nicht auf uns.
    Oft teilten sich verschiedene Klassen denselben Raum, und ich erinnere mich, wie ich hereinkam und die Schultasche eines Jungen zur Seite schob, um meinen Ranzen an einen der Wandhaken in der Nähe meines Tischs zu hängen. Er gehörte jemandem aus der Klasse, die gerade hinausging, und der Junge beobachtete mich. »Der werde ich’s zeigen«, sagte er zu seinen Freunden. Ich bekam

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