Im Leben wird dir nichts geschenkt.
lang waren dies die Highlights, auf die ich mich freuen konnte. Wenn die Sonne unterging, blieb ich im Dunkeln mir selbst überlassen, und während ich auf die Geräusche der Tiere in meiner Umgebung lauschte, prägte ich mir im Stillen Dinge ein, um mich geistig zu beschäftigen, doch ich hatte in den letzten Jahren so viel Mist durchgemacht, dass dieses äußerst karge Leben fast eine Erleichterung war.
Unter meinem Holzboden befand sich ein Rattennest, und als die Tiere merkten, dass ich freundlich gesonnen war, wagten sie sich heraus, also hielt ich immer etwas Reis für sie bereit. Eine von ihnen bekam vor meinen Augen auf dem Boden Junge. Als mich die Kamera-Crew fragte, wie ich generell mit dieser Art Leben fertig würde, erklärte ich ihnen, ich würde mit meinen Freunden reden.
»Was für Freunden?«
»Den Ratten!« Ich kam wirklich bestens mit der Situation zurecht. Ich bestand tatsächlich fast alle Prüfungen, die sie mir auferlegten, und ich war stolz auf mich, besonders, da ein beträchtlicher Anteil physischer Anstrengung dabei war. Etwa eine Woche, bevor wir nach Mexiko aufbrachen, trainierten wir Felsenklettern und lernten, uns von einem Damm abzuseilen – für jemanden wie mich mit ein bisschen Höhenangst gar nicht so einfach. Sie hielten auch psychische Herausforderungen bereit und suchten einmal drei Freiwillige, die sie warnten, lieber nicht mitzumachen, falls sie unter Klaustrophobie litten, doch ich sagte zu allem ja und meinte es auch: Ich wollte mich herausfordern. Wir wurden alle lebendig begraben und blieben 45 Minuten lang dort unten, wo wir nur durch ein kleines Loch atmen konnten. Dort unten in der Erde, womöglich in enger Nachbarschaft mit Taranteln oder Schlangen – das war schon krass. Irgendetwas tief in mir war plötzlich hellwach.
Selbst das Schlafen war alles andere als einfach. Jedem von uns wurde ein Platz auf dem Fußboden eines Bauernhauses sowie eine dünne Decke zugewiesen, und wir teilten unser Lager mit riesigen fliegenden Insekten. Die Mexikaner sagten, es seien cucarachas , Kakerlaken, besonders am Morgen wurden sie recht lebendig. Ich hörte sie kommen, bevor ich sah, wie sie mit ihren großen Beinen gleich Soldaten über den Boden marschierten. Ich arbeitete hart daran, mir einzuschärfen, dass alle diese Tiere meine Freunde waren, einschließlich der Kakerlaken. Mein Platz war besonders nah an der Tür, und so grüßten mich, wenn ich am Morgen aufwachte, als Erstes ihre runden Augen.
Abgesehen vom Kameramann und einem Arzt – mit denen wir nicht reden durften – hatten wir die meiste Zeit keinerlei Kontakt mit der Außenwelt. Offenbar bekamen die Zuschauer einen netten Eindruck von mir, denn gegen Ende der Show informierte mich der Produzent, sie hätten mich in die letzte Runde gewählt. »Gibt es irgendetwas, das sie Ihrem Mann und Ihrer Familie sagen wollen?«
Ich hatte mich bereits insgeheim dazu durchgerungen, Raoul im Fernsehen zu sagen, dass es vorbei war. Im Laufe dieser letzten Woche hatte ich die ganze Zeit darüber nachgedacht, und ich wusste, wenn ich einfach nur in den Flieger stieg und zurückkehrte, als hätte sich nichts geändert, dann käme ich nie aus der Tretmühle heraus. Ich war seit drei Monaten nüchtern und hatte wirklich wieder begonnen zu leben, doch auf Dauer reichte das nicht.
Und so kam es, dass ich Raoul vor dem gesamten Publikum über eine Wechselschaltung erklärte: »Raoul, es tut mir entsetzlich leid, dass ich es dir auf diesem Wege sagen muss …« Ich brachte es ihm so schonend wie möglich bei. Er wirkte nicht einmal wütend, sondern wurde vor Verlegenheit nur puterrot. Ich bin sicher, dass ich an seiner Stelle in Tränen ausgebrochen wäre.
Die Crew war verblüfft und in Italien, wo Raoul und ich als eine ideale, stabile Familie galten, war das Medienecho gewaltig. Jetzt gab es wirklich keinen Weg mehr zurück. Die Presse zerfetzte mich und urteilte, so benähme sich keine verantwortungsvolle Mutter. Ich konnte nicht erklären, wieso ich keinen anderen Ausweg gesehen hatte, ihm die Entscheidung mitzuteilen.
Auf dem Rückflug hatte ich das Gefühl, als käme endlich wieder Gitte, die starke, vernünftige, tatkräftige Frau zum Vorschein. Es fühlte sich wunderbar an, dass ich endlich die Energie besaß, durchzuziehen, was ich beschlossen hatte. Mein Entschluss kam nicht einmal ins Wanken, als ich Raoul gegenüberstand. Er war wütend und bestand darauf, dass wir versuchten, eine gemeinsame Lösung zu finden, doch
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