Im Leben wird dir nichts geschenkt.
begriff ich, was meine Eltern mit mir durchgemacht haben mussten. Als er wuchs, bestand die Gefahr von Hirnblutungen, und er war zwei Jahre lang krank. Es geht ihm jetzt gut, doch damals sagten uns die Ärzte, er könne jeden Moment sterben. Ich konnte mir diese nagende Angst vorstellen, die meine Eltern angesichts einer Krankheit empfunden haben mussten, für die es keine Therapie zu geben schien.
Meine eigenen Erinnerungen an meine frühe Kindheit waren glücklich. Am schönsten waren immer die Ferien, in denen wir jedes Jahr nach Or ø fuhren. Wir hatten nie genug Geld, um uns Auslandsreisen leisten zu können, und so fuhren wir stattdessen auf diese winzige Insel nördlich von Kopenhagen. Wir drängten uns alle in diesen peinlichen alten Wagen und banden das Gepäck mit einem Strick auf dem Autodach fest. Diesmal erlaubten mir meine Eltern wenigstens, Liselotte mitzunehmen.
Das Ferienhäuschen war ebenfalls alt und nicht viel mehr als eine nicht besonders große hölzerne Kiste. Ein Zimmer schloss die Küche mit einer Kochplatte ein, während draußen ein Plumpsklo war, und auch wenn kaum vorstellbar war, wie eine so enge Behausung für uns alle reichen sollte, verbrachten wir hier die unvergesslichsten Ferien, da ausnahmsweise einmal nicht die strengen Regeln von zu Hause galten, und das reichte, um sich wie im Paradies zu fühlen.
Ich durfte Verstecken spielen, herumrennen und – meine Lieblingsbeschäftigung – auf Bäume klettern. Als Kind war ich wie ein Äffchen, ich konnte tagelang alles andere um mich herum vergessen und mich nach Herzenslust in Gefahren stürzen. Diese Insel hatte gerade mal einen Durchmesser von vierzehn Kilometern, klein genug für die Erwachsenen, um davon auszugehen, dass uns nichts passieren würde, und groß genug, um uns eine spannende Wildnis zu bieten. Es war warm, und ich war bei den Menschen, denen ich am meisten vertraute. Mum und Dad waren entspannt und gut gelaunt, und uns konnte nichts passieren. Wir zogen mit Rucksäcken voller Proviant los. Liselotte war wie seit unserer frühesten Kindheit an meiner Seite.
Wir gingen ans Wasser hinunter, um uns über die Vogelbeobachter lustig zu machen. Alle gingen völlig in ihrem Hobby auf – die einen reckten die Nasen in die Luft, die anderen schienen unverwandt ein Stück Sand anzustarren. Sie hatten keine Ahnung, wie sie zu unserer Belustigung beitrugen – so wie sie nichts um sich herum wahrzunehmen schienen, was nicht Federn hatte oder sich in einem Ei befand, waren sie einfach urkomisch. Man konnte ganz nahe an sie herankommen, ohne dass sie im Geringsten reagierten. Dann liefen wir davon und warfen uns in die Dünen, um im Wasser nach Seehunden Ausschau zu halten.
In diesem Urlaub verliebte ich mich auch zum ersten Mal. Vesti war der Glückliche; sein Vater führte den winzigen Supermarkt auf der Insel. Der Junge hatte dunkles, gelocktes Haar, dazu ebenso dunkle Augen, mit besonders langen Wimpern, an die ich mich noch erinnere, weil sie einfach so schön waren. Und er brachte mich zum Lachen. Ich träumte den ganzen Sommer von ihm.
Ich war erst neun Jahre alt, doch ich weiß bis heute, wie er roch, und erinnere mich auch an dieses wundervoll aufregende Gefühl, dieses Kribbeln im Magen, wenn ich ihn nur ansah. Es war ein verwirrendes Gefühl, das ich das erste Mal unter der Dusche bekommen hatte, als ich acht war.
Ich hatte mich mit Marmelade bekleckert, und meine Mutter schickte mich rauf, um mir die klebrigen Sachen auszuziehen und mich zu waschen. Man musste es mir nie zwei Mal sage, ins Wasser zu gehen, ich liebte es zu baden – ich war ein richtiges Wasserbaby. Ich brauste mir die Haare ab und seifte mir den ganzen Körper ein; als mir der Wasserstrahl beim Abspülen zwischen die Beine geriet, spürte ich eine plötzliche Erregung.
Ich hatte keine Ahnung, was ich mit meinem Brausekopf entdeckt hatte, doch es gefiel mir. Es war so ein warmes, angenehmes Gefühl am ganzen Körper; ich hielt die Brause in einer ganz bestimmten Stellung, und was immer es war, es fühlte sich fantastisch an. Nach einer Weile wurde es beinahe zu gut. Ich musste ab und zu die Stellung wechseln, weil ich das Gefühl hatte, ich würde sonst verrückt, doch dann machte ich weiter. Wie lange trieb ich das so? Fünf Minuten? Zehn? Ich weiß es nicht. Ich verlor alles Gefühl für die Zeit.
Diese Erfahrung öffnete eine Tür zu einer völlig neuen Welt, und ich war neugierig und wollte verstehen, was das zu bedeuten hatte. Auf meine
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