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Im Licht der roten Erde

Im Licht der roten Erde

Titel: Im Licht der roten Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Familie Lilian wohl überbracht hatten.

[home]
    Rowena
    S usan schlenderte unter den Kasuarinenbäumen durch das papierähnliche Gras aus dem Lager hinaus. An ihren Füßen spürte sie den kühlen Rauhreif. Kein Lüftchen ging, kein Blätterrascheln, nichts regte sich.
    Vor ihr stand wie in Stein gemeißelt ein alter Bulle mit dunklem Fell, auf seiner breiten Stirn prangte ein weißer Streifen. Hörner, vergilbt und stumpf, bogen sich von seinem kantigen Schädel in die Höhe, große braune Augen, in denen ein Anflug von Neugier zu erkennen war, beobachteten sie.
    Abrupt blieb sie stehen, ihr Herz raste. Der Bulle rührte sich nicht vom Fleck, stoisch, stur. Ein prächtiges Tier. Ein Streuner. Ein Einzelgänger. Während sie wie angewurzelt verharrte, trottete er mit schwerfälligem Gang gemächlich auf sie zu und blieb zu ihrer Überraschung in Reichweite vor ihr stehen. Zaghaft streckte Susan die Hand aus und tätschelte das rauhe Fell zwischen seinen Hörnern. Der Bulle senkte leicht den Kopf, und Susan musste lächeln. Er wollte gekrault werden! Sie rieb und kitzelte ihn hinter den Ohren und konnte nicht aufhören zu grinsen. »Na, Kumpel, bisschen einsam, so ganz allein hier draußen, was?« Offenbar war das der zahme Bulle, von dem man ihr erzählt hatte. Die Barradja hatten ihn seit Jahren gefüttert. »Hast keinen anderen zum Spielen als die Kinder, hm?«
    Sie kraulte das liebebedürftige alte Tier noch ein paar Minuten länger, dann durchbrach das Geräusch eines angelassenen Motors die Stille. Ein Wagen schaukelte aus dem Barradja-Lager. Als er an ihr vorbeifuhr, winkten ihr Digger, Rusty und Barwon zu, die sich auf die Vordersitze gequetscht hatten. Susan setzte ihren Weg durch die Bäume zum Fluss fort. Der Bulle trottete wie ein treuer Hund hinter ihr her, und sie wünschte, sie hätte ihre Kamera dabei.
    Zwischen den Schraubenbäumen fand sie ein freies Fleckchen am Ufer, ließ sich dort nieder und staunte über die Schönheit des Flusses. Die Blätter der Wasserlilien glänzten, als wären sie aus Zinn, die Wasseroberfläche sah so glatt und dicht aus, dass man meinte, hinübergehen zu können. Entlang des Ufers war die Vegetation üppig und tropisch, doch gleich dahinter lag dürres Buschland mit hohem, trockenem Gras und kümmerlichen Bäumen. In der Ferne, das wusste sie, ragten die roten Sandsteinhöhenzüge auf, uralt und geheimnisvoll.
    Susan spürte den Zauber des Landes mehr denn je zuvor, seit sie in der Kimberley eingetroffen war. Sie war erst eine Woche hier, doch es kam ihr viel länger vor, dass sie das letzte Mal Milchkaffee in Balmain getrunken und keine Ahnung von der Schönheit und Kraft dieses so entlegenen Teils der Welt gehabt hatte. Selbst jetzt war ihr nicht ganz klar, wie tief das Land sie berührte, aber sie wusste, dass es sie verändern würde.
    Ein Zweig knackte, und Susan drehte sich um, um nachzusehen, was der Bulle anstellte, doch er war verschwunden. Stattdessen sah sie Lilian durch das nebelverschleierte Licht laufen, die eine Schüssel in den Händen hielt.
    Die Erinnerung an die Dingos kehrte zurück und jagte ihr Schauder das Rückgrat hinab. Doch Lilian winkte ihr fröhlich zu und setzte sich mit einem breiten Lächeln neben sie.
    »Was ist das, Lilian?«, fragte Susan und blickte in den
coolamon,
den aus Rinden gefertigten Behälter.
    »Sugarbag.
Mein Vater und mein Großvater sind mir im Traum erschienen, und ich habe sie gefragt, wo er versteckt ist.«
    »Der wilde Honig, den du gestern nicht finden konntest?«
    »Genau. Sie haben mir verraten, wo er ist.«
    »Dann sind sie also gekommen. In deinem Traum, wie du gehofft hast. Die beiden Dingos …?«
    Lilian ging über die Anspielung auf die Wildhunde hinweg.
    »Mein Vater und mein Großvater. Sie haben mir vieles mitgeteilt. Meine Pflichten, wie ich mich um mein Land kümmern muss, viele Dinge eben. Es hat mich sehr glücklich gemacht.«
    Sie blickte aufs Wasser hinaus und wechselte das Thema. »Diese
barella-
Zeit, wenn der Morgen graut, bevor die Vögel und die Farben erwachen. Wenn deine Augen zu sehen beginnen«, sie tippte sich erst an die Stirn und berührte dann ihre Lider, »dieses Auge und diese.« Susan verstand, was sie mit »sehen« meinte.
    Lilian brach ein Stück Honigwabe ab und reichte es Susan, dann nahm sie sich selbst eins, und beide Frauen saugten das Süße heraus. »Mmm, das ist fantastisch«, schwärmte Susan.
    »Das beste
bush tucker
überhaupt«, bestätigte Lilian.
    Im nächsten

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