Im Licht der roten Erde
Augenblick, als hätte die Natur eine Schallplatte angestellt, stimmte ein Vogel seinen Gesang an, dann noch einer. Andere antworteten und fielen in das Morgenkonzert mit ein. Es war eine Vorstellung, die wie auf Knopfdruck endete, nur noch gelegentlich vernahm man ein Zwitschern. Die Vögel waren mit ihrem Tagwerk beschäftigt.
»Jetzt kommen die Farben.« Lilian deutete auf den blassen, malvenfarbenen und rosa Schein im Osten. »Die Milchstraße bedeckt den Himmel, sie wird
ngadjar
genannt, Herrin des Himmels. Sie macht das Licht für
barella,
die Morgendämmerung, den Tag. Und dann legt sie sich nieder – wir nennen das
njallara –
und schlägt ihr Lager auf. Sie bringt Schlaf. Wir folgen ihr, wenn wir schlafen. Wälzt du dich herum, wenn du schläfst? Das bedeutet, dass du der Milchstraße über den Himmel folgst. Wir nennen das
wollai.
Sieh mal, jetzt kommt der neue Tag.«
»Ich liebe diese Tageszeit. Nicht, dass ich sie besonders oft miterlebe.«
Susan dachte an ihr Schlafzimmer in Balmain, wo sie als Schutzmaßnahme gegen mögliche Eindringlinge bei geschlossenen Fenstern und Vorhängen schlief. Vielleicht sollte sie ab und an zum Hafen hinuntergehen und den Sonnenaufgang beobachten.
»Das ist die
wudu
-Zeit. Wenn die alten Männer und Frauen die jungen Leute unterrichten. Die Lehr- und Lernzeit sozusagen.«
»Darf ich auch ein wenig lernen?«
Lilian lächelte Susan an. »Wenn wir uns mit Frauendingen befassen, dürfen du und deine Freundin dabei sein.« Sie stand auf und griff nach dem
coolamon
mit Honig. »Ich gehe und zünde das Lagerfeuer an.«
Als Susan zurückkam, waren Billy und Beth bereits damit beschäftigt, das Frühstück zuzubereiten.
»Hast du dir das Morgenkonzert angehört?«, fragte Beth.
»Ja, und ein Techtelmechtel mit dem alten Bullen begonnen. Außerdem bin ich Lilian begegnet. Sie hat mir erzählt, ihr Vater und Großvater hätten sie letzte Nacht besucht. Hast du die Dingos gehört?«
»Ich lag in meiner Bettrolle im OKA , die beiden waren nur ein paar Meter von mir entfernt«, sagte Billy, ein wenig unsicher, wie er diese nächtliche Heimsuchung auffassen sollte. »Unheimlich«, bemerkte er schließlich.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, entgegnete Beth. »Kommt auf die Perspektive an.« Sie nahm ihr Handtuch und ihren Kulturbeutel. »Ich steige unter die kalte Dusche, damit ich wach werde. Wir haben nach dem Frühstück drüben im Barradja-Lager ein großes Treffen einberufen.«
Die Gruppe versammelte sich im Schatten der Bäume, wo Ardjani und Lucky bereits mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Boden saßen, hinter ihnen Queenie, Lilian und Jennifer, die ihr Baby im Schoß liegen hatte.
Beth wies Mick, Alistair, Susan und Alan an, sich in einem Halbkreis Ardjani gegenüberzusetzen, Veronica und Billy sollten hinter ihnen Platz nehmen. Dann ließ sie sich neben Mick am einen Ende des Halbkreises nieder. Vor ihnen war eine Plastikdecke ausgebreitet. Ardjani stieß einen geschnitzten Stock in den Boden, dann verharrte er ausdruckslos, ein Bündel Papiere in der Hand, seinen großen Hut ordentlich zurechtgerückt.
Obwohl sie unter einem Baum auf nackter Erde saßen, spürte man die Förmlichkeit, die in der Luft hing. Als die Besucher es sich so bequem wie möglich gemacht hatten, blickte Ardjani von einem zu anderen. »Es macht uns Barradja sehr glücklich, dass ihr gekommen seid, um uns zu helfen. Dem Stamm der Barradja zu helfen, seine Kultur, sein Land zurückzuerhalten.«
Alistair tauschte einen schnellen überraschten Blick mit Mick Duffy aus.
Beth legte rasch dar, dass sich Ardjani auf die Frage nach den Landrechten bezog, über die sie schon bei ihren früheren Zusammenkünften geredet hatten. Sie sprach förmlich und mit ihrer Vermittlerstimme. »Ardjani meint, dass sie eure Unterstützung bei den Verhandlungen mit den Steeles sehr zu schätzen wissen. Sie sind glücklich darüber, dass die Ältesten zu zeremoniellen Zwecken ihre heiligen Stätten aufsuchen dürfen. Er ist gespannt darauf, ob noch mehr Zugeständnisse möglich sind, vielleicht die Erlaubnis, ihr angestammtes Land uneingeschränkt zu betreten.«
Sie wandte sich an Ardjani, der erneut zu der Runde sprach. »Doch zunächst sollten wir über die amerikanische Frau reden, Rowena, und über die Papiere, die Lucky und die Leute aus Bungarra unterschreiben sollen.«
Lucky und Ardjani tauschten Blicke. Susan fing sie auf, doch ihr war nicht klar, ob sie eine Nachricht enthielten,
Weitere Kostenlose Bücher