Im Licht der roten Erde
Farmer für sie engagiert hatten, damit er ihr half, ihre Perspektive wieder zurechtzurücken.
Die Wagen rollten durch eine Gegend, die typisch war für die Kimberley: ein subtropisches Königreich mit archaischen Bergketten – rostrote Kringel auf Steilhängen aus orangefarbenem Sandstein vor einem azurblauen Himmel, von Palmen gesäumte Wasserlöcher, Schwärme von grellbunten Wellensittichen, majestätische Rußkakadus und auf den offenen Flächen mit Spinifexgras die unheimlichen, bauchigen
boabs
mit ihrer harten Rinde, den knorrigen Armen und spitzen Fingern, die wie alte Kobolde himmelwärts griffen.
Shareen starrte auf die Muster, die Feuchtigkeit und Wind in die Felsen getrieben hatten. Sie schauderte. An diesen schroffen Hängen mit ihren Felsnasen und Vorsprüngen verbargen sich geheimnisvolle Bilder und mit ihnen ein Macht- und Glaubenssystem, das anders war als alles, was sie je kennengelernt hatte. Sie blickte zu Jennifer und Lilian hinüber. Ihr einziger Kontakt mit weiblichen Aborigines war ein kurzer, geplanter Besuch in einem medizinischen Versorgungszentrum für Aborigines, wo die Frauen entweder zu schüchtern gewesen waren, um den Mund aufzumachen, oder zu misstrauisch. Die einzigen Aborigine-Männer in der politischen Arena, mit denen sie die Schwerter gekreuzt hatte, waren Aktivisten gewesen, die ihre Kollegen als Unruhestifter betrachteten.
Sobald sie sich als Anhängerin der kontroversen Politikerin Pauline Hanson zu erkennen gegeben hatte, war sie gebrandmarkt gewesen. Doch das war in Ordnung. Sie hatte ziemlich feste Ansichten zum Streitthema Schwarze, zum Beispiel, dass ihnen zu viel Geld hinterhergeworfen wurde, von denen sie das meiste verschwendeten. Sie waren von jeher Nomaden gewesen, wie also konnten sie sich nun erdreisten, eine solche Kehrtwende zu vollziehen und Eigentumsrechte auf das Land geltend machen? Sie genossen doch bereits spezielle Privilegien und Vorteile, verglichen mit dem Rest der Bevölkerung.
Wenngleich die alten Barradja in Marrenyikka zwar abgerissen, aber sauberer wirkten als die Schwarzen, die in den Pubs von Kununurra herumgammelten, war sie genervt von ihrer Würde und ihren leidenschaftlich vorgetragenen Argumenten. Zunächst hatte sie es lächerlich gefunden, dass Jennifer, eine ausgebildete Krankenschwester, hierher zurückkehrte, um von den Ältesten zu lernen. Was sollte ihr dieser traditionelle Kram im echten Leben nützen? Shareen war immer der Ansicht gewesen, dass die Aborigines nicht länger einer sterbenden Kultur nachhängen und sich stattdessen lieber in die weiße Gesellschaft eingliedern sollten. Je schneller, desto besser. Doch schon nach dieser kurzen Begegnung mit den Barradja wurde das vorher noch so scharf umrissene Schwarz-Weiß-Bild in Shareens Kopf immer grauer und verschwommener.
Es gefiel ihr nicht, anderen die Führung zu überlassen, und insgeheim war sie erfreut gewesen, als ihre politischen Befürworter sie öffentlich als »Frau mit Substanz, eine potenzielle Führungsperson mit starken, unabhängigen Ansichten« beschrieben hatten. Aber je länger sie hier draußen war, in Gesellschaft dieser Rechtsanwälte, Aborigines und rechthaberischen weißen Frauen, desto mehr hatte sie den Eindruck, ihr geordnetes Leben würde aus der Bahn geraten.
Sie erreichten eine kleine Anhöhe. Der Pritschenwagen vor ihnen hielt an. Rusty stapfte zum OKA und pochte an Billys Scheibe. Das elektronische Fenster senkte sich summend, heiße Luft drang in den klimatisierten Innenraum. »Den Hügel runter, durch das Flussbett und noch ein kleines Stück weiter«, wies er ihn an. Ein besorgter Ausdruck trat auf sein Gesicht, und er fragte Billy: »Hast du Bremsen?«
Billy ließ sich nichts anmerken. »Ja, Rusty, wir haben Bremsen.«
Der alte Aborigine ging weiter zu Hunters Safari-Wagen und wiederholte seine Frage. Shareen und Rowena mussten lächeln.
»Gut. Dann fahrt hinter uns her.«
Als sie die Anhöhe und den kleinen Fluss hinter sich gelassen hatten, winkte ihnen Rusty zu und deutete auf eine Stelle, an der sie anhalten konnten.
Sie streckten die Beine aus und atmeten die dicke Luft ein. Rowena blickte sich um, doch sie verlor kein Wort über die Europäer, die sie vor ein paar Tagen schon hierhergeführt hatte. Hoffentlich hatten sie keine verräterischen Spuren hinterlassen.
Sie blieben am Fuß der Felshöhle stehen, und Ardjani und Rusty zogen los, um Blätter für die Rauchzeremonie zu sammeln, mit der sie die
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