Im Licht der roten Erde

ihr die Hand auf den Arm, um sie zurückzuhalten. »Geh rüber zu eurem Lager – alle sollen herkommen!«
    Lilians Tonfall jagte Veronica einen Schauder über den Rücken. Dann sah sie Rowenas Arm von der Trage baumeln, die Fingerspitzen berührten den Boden. »O Gott, sie ist doch nicht … tot? Ist sie etwa tot?«
    Lilian gab ihr einen sanften Stoß, und Veronica lief über die offene Fläche hinüber zum Lager, wo die Gruppe ihr spätes Frühstück beendete.
    Beth bekreuzigte sich – ein Ritual, das man selten an ihr beobachten konnte. »Gerechtigkeit«, murmelte sie.
    »Vielleicht ist sie ja nur verletzt, und wir können die Fliegenden Ärzte rufen.« Billy wollte schon losstürmen, doch Alan hielt ihn zurück.
    Ardjani kam auf sie zu. Als die Gruppe den Ausdruck auf seinem Gesicht sah, war klar, dass er keine guten Neuigkeiten brachte.
    »Was, um Himmels willen, ist passiert?«, fragte Mick.
    Ardjani erstattete ihnen Bericht, auch wenn er nicht extra auf die Bedeutung des Schlangenbisses einging. »Hunter ist bei ihr.« Er deutete auf das Lager. »Wir müssen die Polizei rufen, nicht wahr?«
    Schnell wurden Vorbereitungen getroffen, um mit Hilfe der technischen Ausrüstung im OKA Kontakt zur Polizei von Kununurra aufzunehmen.
    Shareen durchbrach das Schweigen, in das sie sich seit Eintreffen des Leichnams gehüllt hatte. »Bitte fragen Sie die Polizisten, ob sie mich mit zurücknehmen können. Sie werden per Flugzeug eintreffen, und ich wüsste gern, ob an Bord noch Platz ist.«
    Der Anblick der Toten, die ins Lager gebracht wurde, hatte sie erschüttert. Das Drama um das gestohlene Artefakt, die erbitterten Diskussionen über politische und kulturelle Belange, die permanent spürbaren kulturellen Differenzen hatten die vergangenen Tage zu einer äußerst erschöpfenden Belastungsprobe für sie werden lassen.
    Der mysteriöse Tod der Amerikanerin war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es war Zeit, auf vertrauteres Terrain zurückzukehren. Sie hörte den anderen Weißen zu, die davon sprachen, dass Rowena die traditionellen Tabus gebrochen hatte, und sehnte sich nach einer unkomplizierten, schlichten Erklärung wie »Sie wurde von einer tödlichen Schlange gebissen und starb bei dem Versuch, Hilfe zu holen«. Shareen war froh, dass niemand eine Bemerkung machte bezüglich ihrer Entscheidung, das Lager zu verlassen.
    Sie blickte auf, als Hunter zu Ardjani trat und ihm einen großen Umschlag überreichte.
    »Den hab ich in Rowenas Zimmer gefunden. Obenauf lag eine angefangene Nachricht, aber sie war von einem Handtuch verdeckt, sonst hätten wir sie schon früher gefunden.«
    Ardjani zog einen Stoß durchgerissener Papiere aus dem Umschlag. Er überflog sie rasch und reichte sie kommentarlos an Alistair weiter, der sie durchblätterte. »Es handelt sich um den Urheberrechtsvertrag, den sie mit den Barradja abgeschlossen hatte«, erklärte er an alle gewandt. »Sie hat ihn zerrissen. Sieht so aus, als hätte sie diese Nachricht verfasst, nachdem sie den Entschluss gefasst hatte, sich auf den Weg zu machen. Hier steht …
     
    Ich hatte kein Recht, das zu tun. Es tut mir leid, dass ich Dich enttäuscht habe, Ardjani. Ich werde es beim nächsten Mal, wenn ich hier bin, wiedergutmachen.
     
     
     
    In Boulder Downs hatte Andrew bei Anbruch der Morgendämmerung Kaffee und Toast zubereitet, während Susan Norma Jackson aus einem unruhigen Schlaf weckte. Die beiden Frauen unterhielten sich leise, und Susan half Norma, ihre Sachen für die Fahrt zum Minengelände zusammenzusuchen und eine Tasche zu packen, damit Norma mit dem Leichnam ihres Mannes direkt nach Derby fliegen konnte, wo sie vorübergehend bei Freunden unterkommen wollte.
    Norma tat Susans Gesellschaft gut, die Wärme und das aufrichtige Mitgefühl der jüngeren Frau boten ihr die Unterstützung, die sie brauchte, um dem bevorstehenden Schrecken ins Auge blicken zu können. Wenngleich sie die Tatsache akzeptierte, dass ihr Mann tot war, fürchtete sie doch den Augenblick, wenn sie auf seinen Leichnam auf der roten Erde blicken musste, die getränkt war von seinem Blut. Dennoch war sie fest entschlossen, ein letztes Mal zu ihm zu gehen.
     
    Die Dunkelheit wich soeben den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne, als sich die drei auf den Weg machten. Bald schon wurden die Konturen der Landschaft schärfer, und Norma Jackson begann zu reden. Susan hatte den Eindruck, sie versuchte damit zu verhindern, dass sie komplett durchdrehte. Manchmal