Im Licht der roten Erde
Ihren Vater vor ein paar Jahren kennengelernt.«
Rowena nickte. Graf Gustav Lubdek. Ein Industrieller, der nach dem Krieg ein Vermögen gemacht hatte, indem er unter anderem in das Filmgeschäft investierte. Sie entsann sich, gehört zu haben, er sei Kunstsammler. »Sind Sie in Sachen Film hier oder Kunst oder …?« Sie ließ die Frage in der Luft hängen.
Der Graf zuckte die Achseln. »Ich bin im Ruhestand. Zugegeben, ich sammle das eine oder andere Stück, aber Dinge von Seltenheitswert sind … eben selten.« Seine Augen glitten über ein Regal, auf dem neben einer Reihe von Büchern verschiedene Objekte standen. »Das hier macht mich neugierig …« Er deutete auf einen Schädel, in tiefem, glänzendem Braun gefärbt und bemalt mit einem komplizierten, stumpfen roten Muster. »Ungewöhnlich. Ein wenig makaber vielleicht, aber … interessant.«
Rowena zögerte kurz, dann entschloss sie sich, darüber zu sprechen. »Ja. Er gehört mir. Ich habe ihn von meiner Reise ins australische Outback mitgebracht. Es ist ein Aborigine-Schädel.«
»Aha. Ich habe ein wenig über diese Kultur gehört. Ist sie interessant?«
»Ja, das ist sie. Meines Erachtens ist die Felsmalerei von beträchtlicher Bedeutung – eine sehr kraftvolle Bildersprache … und vermutlich die älteste der Welt. Vor allem die in der Kimberley … wo man von uralten, geheimnisvollen Malereien spricht.«
»Tatsächlich? Das interessiert mich sehr.« Er nahm einen Schluck Brandy. »Fahren Sie noch einmal dorthin?«
»Ich ziehe es in Erwägung. Warum?«
Auch er schien zu dem Entschluss zu kommen, ehrlich mit der Tochter seines Freundes zu sprechen. »Mir wäre daran gelegen, etwas von dieser Kunst zu erwerben. Vielleicht können wir das ein andermal näher erörtern?«
»Warum nicht? Ich habe einige Kontakte dort unten. Wenn ich behilflich sein kann … Was schwebt Ihnen denn vor? Sie sollten hinreisen und sich die Felsmalereien in den heiligen Höhlen ansehen. Sie finden dort auch moderne Künstler, deren Gemälde Sie kaufen können.«
Die Tür öffnete sich, und ihr Vater sowie ein weiterer Mann betraten die Bibliothek. Der Graf stand auf, bedachte Rowena mit einem eindringlichen Blick und sagte mit leiser Stimme: »Sollten Sie jemals in München sein, besuchen Sie mich.«
»Gustav, erzählen Sie mir nicht, Sie haben meine Tochter eingeladen, Ihre Sammlung anzusehen, die Sie so streng geheim halten?« Joseph Singer hatte Lubdeks Bemerkung mitbekommen.
»Geheime Sammlung? Was hat das zu bedeuten? Klingt faszinierend.« Der dritte Mann, angeheitert vom Champagner, sprach laut, aber Gustav Lubdek ignorierte ihn und wandte sich wieder an Rowena. »Es wäre mir ein Vergnügen, meine Dame. Guten Abend.«
Er verabschiedete sich von den beiden Männern und war aus dem Raum geschlüpft, noch bevor jemand etwas sagen konnte.
Rowena hatte den Vorfall schon fast vergessen, als ihr Vater sie einige Zeit später nach ihrem Gespräch mit dem alten Grafen fragte. Er bemerkte, der Deutsche sei ein wenig exzentrisch und besitze vermutlich eine der großartigsten Kunstsammlungen der Welt, die jedoch niemand je zu Gesicht bekommen habe. »Es heißt, sie sei allein für seine Augen bestimmt. Ausgestellt in unterirdischen Stahlkammern, die nur er betritt.«
»Eine Geldanlage? Oder Gerede. Wenn niemand seine Sammlung gesehen hat, weiß doch auch keiner, was er hat. Vielleicht gar nichts.«
»Was habe ich nur für ein zynisches Kind. Man hört Dinge, Rowena. Er sammelt, daran hege ich keinen Zweifel.«
Susan Massey, die Tasche in der Hand, ließ den Türklopfer auf die Tür der Doppelhaushälfte in Redfern fallen.
Er trug Jeans und ein weißes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, und sie erkannte sofort, dass Nigel Barwon ein Mann war, auf den die Frauen flogen. Schlanke Statur, dunkles, gelocktes Haar und tief olivfarbene Haut. Doch als sie sich die Hand gaben, sah sie die Sorge in seinen dunklen Augen.
»Danke, dass Sie gekommen sind. Der Kaffee ist fertig. Oder möchten Sie lieber Tee?«
»Kaffee wäre prima.« Sie sah die Tassen zusammen mit Plundergebäck auf einem Tisch stehen. Ganz in der Nähe lehnte ein
didgeridoo
an der Wand.
Während er das Filtersieb herunterdrückte, nahm sie am Tisch Platz und stellte ihren kleinen Kassettenrekorder neben ihren Notizblock.
»Spielen Sie das
didgeridoo?
«
Er schenkte ihr ein entwaffnendes Lächeln. »Leider nicht. Das Team bei dem Fernsehsender, für den ich gearbeitet habe, hat es mir
Weitere Kostenlose Bücher