Im Licht der roten Erde
fachte die kleine Flamme an, bevor er weiteres Gras und trockene Zweige hinzufügte.
Der Geruch des Feuers lockte die anderen an. Der Tag hatte begonnen. Rauch stieg in den blassen Himmel, folgte den Echos des morgendlichen Vogelkonzerts. Sein jüngerer Sohn Luke gesellte sich zu ihm und ließ sich mit verschlafenen Augen neben ihm nieder.
Daniel Ardjani hielt seine Hände, über die sich ein feines Geflecht aus Adern und Falten zog, übers Feuer, dann streckte er sie aus und rieb Lukes Bauch. Er wärmte seine Hände erneut und fuhr damit über Gesicht und Kopf des Jungen, um sein Bewusstsein für den anbrechenden Tag zu wecken, ihn aufzufordern, von diesem Tag zu lernen. Etwas über seine Zugehörigkeit zu erfahren, Respekt vor dem Gesetz, der Natur und der Weisheit seines Vaters und den Ältesten zu entwickeln. Der Junge lächelte, nickte und streckte ebenfalls die Hände der Wärme des Feuers entgegen.
Wudu-
Zeit. Als die Hitze aufstieg und sich verbreitete, war es Zeit für die ersten Lektionen. Später würde er mit den Frauen auf die Suche nach Essbarem gehen, denn Luke, der erst neun Jahre alt war, war es lediglich erlaubt, die Männer zu bestimmten Gelegenheiten zu begleiten.
Ardjani zeigte dem Jungen Federn. »Diese hier ist von Wodoi, der Argusnachtschwalbe. Und diese hier gehört der Eule aus der Dumbi-Geschichte. Wegen der Unwissenheit zweier Kinder musste der arme kleine Dumbi leiden. Die beiden Jungen fingen die Eule, rissen ihr die Federn aus und klebten ihr Süßgrasrispen an. Dumbi versuchte zu fliegen und stürzte,
bumm,
zu Boden.« Ardjani ließ die Feder auf die Erde schweben, und der Junge starrte ihr mit traurigen Augen nach. Ardjanis Stimme wurde eindringlicher. »Alle Männer und Frauen ihrer Sippe kamen bei einer großen Flut ums Leben, das war die Strafe für das, was die Jungen getan hatten. Die beiden liefen davon, doch sie wurden erwischt und in den Bauch eines
boab-
Baumes gesperrt, weit weg, wo ihnen niemand helfen konnte. Dumbis Seele flog zu der heiligen Höhle, wo er neben den
wandjina,
unseren Ahnengeistern, sein Abbild an der Wand hinterließ. Aus diesem Grund stellen wir alten Leute sicher, dass die jungen das Gesetz kennen und bewahren. Anderenfalls werden wir Alten für die Fehler unserer Kinder bestraft. Die Jungen müssen die Gesetze respektieren und sie befolgen, so dass sie von den Ältesten an die nächste Generation weitergegeben werden können. Sonst werden wir alle sterben.«
Der kleine Junge nickte energisch mit dem Kopf. Wie all den anderen Jungen Tausende Jahre vor ihm hatte man ihm beigebracht, wie wichtig das Gesetz war – und ihn die Konsequenzen von Gesetzlosigkeit innerhalb der Barradja-Gemeinschaft gelehrt.
Nach dem Unterricht hüpfte er zu den Frauen, die über dem großen Feuer Fisch kochten und
damper,
Buschbrot, auf den heißen Kohlen backten. Er setzte sich neben seinen älteren Bruder und wartete auf das Essen, das man ihm geben würde, wenn die alten Männer fertig waren.
Ardjani brach einen geschwärzten Kanten von seinem
damper
und warf ihn seinem Lieblingshund zu, einem dünnen, gelbäugigen Jagdhund, der als einziger der Meute in der Nähe des alten Mannes sitzen durfte. Doch er war nicht nur der Liebling, sondern auch der beste Spürhund. Die Hunde waren Meister im Aufstöbern von Wild, und die Jäger arbeiteten eng mit ihnen zusammen.
Ardjani erinnerte sich, dass damals, als er ein kleiner Junge gewesen war wie Luke, weiße Männer gekommen waren, die den Aborigines Mehl für das
damper
gegeben hatten, und dass viele seiner Leute krank geworden und gestorben waren. Genau wie andere, die aus vergifteten Wasserlöchern getrunken hatten. So viel Unrecht. Weiße nahmen ihnen ihr Land, ihre Frauen und Kinder. Die schwarze Bevölkerung litt. Die weiße ebenfalls. Jetzt war der Moment gekommen, diese Missstände zu beheben. Zeit der Heilung und des Neuanfangs. Er wusste, dass es nicht leicht sein würde. Doch der Songmaster hatte verkündet, es sei an der Zeit, mit der Heilung zu beginnen, sonst wäre es bald zu spät. Die Regierung, die Stammesführer, die Leute von der Minenbauindustrie – die Menschen dieses Landes mussten sich zusammensetzen und reden. Und endlich anfangen, einander zuzuhören.
Ardjani hatte etwas vor mit diesen weißen Leuten, die in die Kimberley reisten. Sie würden ihm helfen. Beth hatte gesagt, sie würde gute Menschen finden. Wenn sie da waren, würden sie begreifen, warum sie hierhergekommen waren. Es spielte keine
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