Im Licht der roten Erde
Geschenk. Und was konnte sie Besseres damit anfangen, als es Gott darzubieten?
Sie verstand die Schönheit und die Notwendigkeit der Liebe zwischen Mann und Frau, doch ihre Leidenschaft galt nicht der Vorstellung, in den Armen eines Mannes zu liegen, ihm Kinder zu gebären und ergeben zu sein. Sie würde vorwärtsschreiten und Gottes Plan voranbringen. Sie träumte von ihrer Vermählung mit Ihm, von der schönen Hochzeitszeremonie, wenn die Novizinnen ihr Ordenskleid ablegten und wie eine Braut herausgeputzt wurden, mit weißer Spitze und seidener Schleppe unter dem Schleier. So gingen sie durch das Kirchenschiff, um sich vor Gottes Altar zu Boden zu werfen. Bald würde Beth bereit sein, ihre letzten Gelübde abzulegen und den silbernen Ehering zu empfangen, welcher als weltliches Zeichen dafür galt, dass sie eine der erwählten Bräute Christi war.
Während sie all die Jahre in dem alten Corolla dahingerattert war, war Beth zu der Einsicht gelangt, dass es im Leben viele Entscheidungsmöglichkeiten gab. Und indem man Entscheidungen traf, stellte man die Weichen für die Reise seines Lebens. Manchmal war sie erstaunt darüber, welche Abzweigungen ihr Weg plötzlich genommen hatte, wenn sie ihre Schritte zurückverfolgte oder neue Richtungen einschlug. Jetzt kam sie in die mittleren Jahre, ins Anfangsstadium der Weisheit. Ihre Mädchenjahre lagen hinter ihr. Als sie in sich gegangen war und die leise Unruhe kritisch hinterfragt hatte, die an den Eckpfeilern ihrer religiösen Überzeugung rüttelte, war sie in die Kimberley zurückgekehrt, wo sie nach und nach auf Antworten gestoßen war. Sie hatte den weisen Frauen aus Ardjanis Gemeinschaft viel zu verdanken, und sie hoffte, nun im Gegenzug den Barradja helfen zu können.
Sie wusste, dass die Leute, die sie zu ihnen bringen würde, genauso bewegt sein würden – sowohl physisch als auch metaphysisch – von dem Land, das die Barradja bewohnten. Nur eine seelenlose Person würde ungerührt bleiben angesichts der Schönheit und Rätselhaftigkeit der Kimberley und ihrer Menschen.
Die Kimberley – einst ein fremdes Territorium für die junge Frau – war ihr vertraut und lieb geworden. Während des Fahrens blickte sie auf den Felsenkamm und sah ihn mit den Augen der Barradja, sah mehr als nur Felswände und Gesteinsbrocken. Das war das
crocodile dreaming,
das Traumzeitkrokodil, das in die Erde eindrang, um dem riesigen Teufelsvogel zu entkommen. Doch es wurde in Stein verwandelt – und dieser Gebirgskamm war sein Rückgrat.
Sie wusste auch, dass es dort draußen neben den Pflanzen und Tieren und Menschen noch anderes Leben gab: Geister und Geschichten und eine Energie, die eine lebendige Verbindung zur Erde herstellte, die sie hatte verstehen lassen, was höheres Bewusstsein und ein höheres Sein bedeutete. Beth hatte gelernt, dass jede physische Erscheinungsform – sei es ein Blatt oder ein Fels – ihre eigene Seele hatte, eine ihr von Anfang an innewohnende »Lebendigkeit«, und sie schloss sich nicht länger einem Glauben an, der allein die menschliche Intelligenz anerkannte, einem Glauben, der gelenkt wurde von einer männlichen Gottheit und der immer noch versuchte, das Unergründbare mittels Vernunft zu erklären.
Beth dachte nicht oft an das junge Mädchen und die lange, ereignisreiche Reise, die es hinter sich hatte, doch wenn sie es tat, dann empfand sie Dankbarkeit für die Kraft, die ihr Leben zu dem verändert hatte, was es heute war.
Bevor sie nach Kununurra geflogen war, wo sie ihren Wagen am Haus einer Freundin abgestellt hatte, hatte Beth ihren Charme spielen lassen und den von ihr Erwählten die Karotte des Abenteuers vor der Nase baumeln lassen. Eine einmalige Reise – wie die Touristenbroschüren versprachen. Per Telefon und Fax hatte sie die Gruppe zusammengetrommelt, Flüge organisiert, sich um Logistik und individuelle Reiserouten gekümmert. Als sie dann bei ihrer Freundin Esme eingetroffen war, hatte sie den Wagen abgeholt und sich zu ihrem Treffen mit Ardjani aufgemacht.
Esme Jordan wurde von den Bürgern von Kununurra als »exzentrische alte Schachtel« betrachtet. Doch Beth kannte ihre Geschichte, und in ihren Augen verkörperte die immer noch hitzige Achtzigjährige genau das, was eine Frau im dritten Lebensabschnitt verkörpern sollte: Sie war weise und unangepasst, und wenn sie sich nicht gerade über die Regierung, die Vereinten Nationen oder darüber beschwerte, dass ihre Lieblingssauce im Supermarkt aus
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