Im Licht der roten Erde
Traumzeittotem, die Verkörperung eines Ahnenwesens. Vielleicht sagt dir dieses Totem guten Morgen.« Ardjani grinste.
Susan lachte. »Was für ein netter Gedanke.« Sie blickte wieder auf die gekräuselte Wasseroberfläche. »Glaubst du das wirklich? Dass ein Fisch ein Geist sein kann und dir einen guten Morgen wünscht?«
Ardjani nickte. »Geister sind überall.« Sein Ton machte klar, dass dies kein Thema war, über das man diskutieren konnte. »Vielleicht verstehst du bald mehr. Du hast noch deine Stadtaugen, deine Stadtseele.« Er deutete flussabwärts auf eine Baumgruppe hinter ihrem Lager. »Geh hin, aber ganz leise, behutsam. Dort kannst du die Brolgakraniche sehen, wie sie tanzen.«
»Wirklich?«
Er nickte. »Lilian und Jennifer sind dort und suchen nach
sugarbag.
« Wieder nickte er, dann wandte er sich um und ging Richtung Lager.
Susan entdeckte Lilians mütterliche Gestalt und die schlanke Figur ihrer Tochter in der Nähe eines Baumes. Lilian legte einen Finger auf die Lippen und winkte Susan zu sich. Als sie die beiden erreicht hatte, nahmen sie sie bei den Händen und deuteten nach vorn.
Auf einer Lichtung zwischen den Niaoulibäumen folgten vier große graue Vögel einem komplizierten Tanz. Sie rupften Gras aus, schleuderten es in die Luft und fingen es mit den Schnäbeln wieder auf, verneigten sich, warfen sich in die Brust, hoben ihre langen, dünnen Beine, drehten sich, täuschten Desinteresse vor, schüttelten sich. Jedes Männchen umwarb ein Weibchen, das es abschätzig beäugte. Der Balztanz endete mit einem Rufen, einem Schnabelhieb und plötzlicher wilder Flucht.
Jennifer lachte. »Irgendetwas hat sie aufgeschreckt. Sie werden morgen zurückkommen.«
»Sie sind so anmutig. Diese wundervollen feinen grauen Federn. Ich bin so froh, sie gesehen zu haben.«
»Du bist früh aufgestanden.« Lilian führte sie den Weg zurück, den sie gekommen waren. »Wir suchen nach
sugarbag,
wildem Honig, aber wir haben leider kein Glück gehabt.«
»Die Bienen verstecken ihn«, fügte Jennifer hinzu. »So, und was habt ihr heute vor?«
»Beth sagt, wir setzen uns zusammen, um unsere Pläne zu besprechen. Wir würden wirklich sehr gern die Felsmalereien auf der Eagle-Point-Station sehen.«
»Das wäre schön. Die alten Männer sind lange Zeit nicht dort gewesen. Es ist in der Nähe des Landes von meinem Vater.« Lilian blickte traurig drein.
»Ist dein Vater tot?«, fragte Susan behutsam.
»Sie alle sind tot. Jetzt ist es Jennifers und mein Land, aber wir können nicht danach sehen. Es ist zu weit weg, und bislang hatten wir keine Fahrzeuge.«
Jennifer blickte ihre Mutter an. »Wir müssen dorthin, damit meine Mutter mit den Geistern ihres Vaters und Großvaters sprechen kann. Unserer Familie. Damit sie weiß, was ihre Aufgabe ist und ob sie glücklich sind.«
»Wann bist du zuletzt dort gewesen, Lilian?«
»Als ich ein kleines Mädchen war, etwa fünf.«
»Aber das ist schrecklich! Hört mal, wir werden mit den Leuten reden und sie um Erlaubnis bitten, diesen speziellen Ort zu besuchen.«
Lilian berührte Susan leicht am Arm. »Das wäre schön. Sehr schön.«
Sie waren auf dem Weg zurück ins Lager, als das Geräusch eines herannahenden Autos den morgendlichen Frieden störte. »Wer könnte das sein?«, fragte Susan.
Lilian zuckte die Achseln. »Leute kommen, Leute gehen, immer ist irgendwas los.« Mutter und Tochter setzten ihren Weg fort, und Susan ging, um sich ein Handtuch zu holen. Sie war froh, als sie sah, dass Billy aufgestanden war und sich am Feuer zu schaffen machte.
»Warum schmeckt es an der frischen Luft bloß immer so besonders gut?« Veronica schaufelte gebratene Würstchen, Schinken und Eier in sich hinein.
Susan drehte eine Scheibe Toast auf der Metallvorrichtung um, die Billy über der Flamme des Gaskochers befestigt hatte. »Du isst doch nur
al fresco,
wenn Boris auf die Schnelle ein kleines mediterranes Frühstück zubereitet.«
»Ich arbeite stundenlang im Sender, und er arbeitet zu Hause«, entgegnete sie betont, aber ohne sauer zu sein. »Ich habe eben Glück.«
»Vermutlich glaubst du nicht an diesen New-Age-Quatsch, echte Kerle sollten kochen können«, wandte sich Susan an Mick, doch seine Antwort überraschte sie.
»Ich bereite jedes Jahr das Weihnachtsessen in einem Schmortopf am offenen Feuer zu. Im Garten. Außerdem mache ich ein klasse
damper.
«
»Stimmt. Mick ist heute Abend fürs Essen zuständig«, bestätigte Beth.
»Was machen wir heute,
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