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Im Licht der roten Erde

Im Licht der roten Erde

Titel: Im Licht der roten Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Erwachen des Tageslichts. Der Songmaster ließ sich in der Kühle nieder und fachte sein Feuerchen an. Da saß er, mit übereinandergeschlagenen Beinen, in sich gekehrt, und beobachtete die feine Rauchspirale, die sich in die Höhe wand und in den Kalksteinklippen des fossilen Riffs, entstanden vor vierhundert Millionen Jahren, verschwand.
    Die ältesten Felsen in der Kimberley waren zweitausend Millionen Jahre zuvor geschaffen worden, dann war die Eiszeit gekommen, und die Landschaft hatte sich wieder verändert. Die Ahnengeister hatten Flüsse durch den Sandstein fließen lassen, Schluchten und steil aufragende Klippen ausgeschnitten.
    Türme und Kuppeln aus Sandstein, mit Streifen und Windungen versehen, ragten aus der Landschaft empor und erhoben sich über dem Grün der Fächerpalmen und dem niedrigen Gestrüpp. Felsen, Hochebenen, zerfurchte Kalksteinhöhenzüge und ungeschützte Riffe waren geblieben, als das Eis und die Fluten das Land verlassen hatten.
    Der Songmaster nahm die beiden clapsticks und schlug damit auf den Boden, dann hob er den Kopf und sang, wobei er nun die Stöcke gegeneinanderschlug, deren hölzerner Klang sich mit seinem Gesang vermischte.
    Sie waren Neuankömmlinge in seinem Land. Sie waren willkommen. Aber er wusste, dass es andere geben würde … die Schmerz und Bedrohung mit sich bringen würden. Deren Augen von Gier getrübt waren und die die Worte nicht vernahmen, welche die Ahnengeister zu den Ältesten sprachen. Seid auf der Hut … seid auf der Hut, klopfte er, und seine Stimme bebte – mahnend und voller Sorge. Fremde werden kommen … seid auf der Hut …
     
    Ardjani stand reglos am Ufer des glasklaren King Edward River, sein Körper ein schlankes dunkles Schilfrohr an der Wasserkante. Blasses, lavendelfarbenes Licht der anbrechenden Morgendämmerung fiel durch die Baumkronen. Er hob den Kopf und lauschte, nahm den Gesang des Songmasters in sich auf. Schließlich wandte er sich ab und ging langsam und geräuschlos davon, seine nackten Füße berührten kaum das Gras oder die Kiesel, sein schwacher Schatten auf dem Fluss war die einzige Bewegung in der Stille des neuen Tages.
     
    Susan reckte sich und blickte aus dem Plastikfenster in den taubeneifarbenen Himmel. Ein Vogel rief, ein anderer antwortete. Sie wand sich aus dem Schlafsack, fischte nach ihren Turnschuhen und zog sich Sporthose und ein Baumwoll-T-Shirt an, dann griff sie nach dem Reißverschluss an der Zelttür.
    Zzzip,
hallte es durch das stille Lager. Dieses Geräusch würde sie für immer mit diesem Erlebnis in Verbindung bringen.
    Susan trat hinaus und streckte sich, drückte den Rücken durch, um ihre ein wenig steifen Glieder zu lockern. Tau glitzerte auf dem Gras. Nebelfetzen hingen wie schlaffe Luftschlangen in den ausladenden Ästen der Bäume. Die Zelte sahen aus wie Kokons, dicht verschlossen, still. So geräuschlos wie möglich ging sie an den feuchten Plastikklappstühlen vorbei, die um das erloschene Feuer standen. Teller und Kästen mit Besteck, Soßenflaschen, Gewürze in versiegelten Dosen und Plastikbehältern waren auf dem kunststoffbeschichteten Tisch aufgereiht. Gedankenverloren malte sie ihre Initialen in die Nässe auf der Tischplatte, dann fiel ihr Blick auf Gaskocher und Kessel und weckte in ihr die Lust auf Tee. Billy war in seinen
swag
gerollt, eine Art Schlafsack, komplett mit Matratze, Bettzeug und einer den Kopf mit einem Moskitonetz vor Insekten schützenden Kapuze; Tau tröpfelte auf die Öltuch-Außenhaut.
    Sie wollte gerade umkehren, als sie Ardjani am Flussufer entdeckte. Er hob den Arm und bedeutete ihr, zu ihm zu kommen. Sie ging über den stoppeligen Boden, zu den großen Schraubenbäumen, die den nur etwa fünfzig Meter vom Lager entfernten Fluss säumten.
    »Guten Morgen. Gut geschlafen?«
    »Ja, das habe ich. Danke.«
    Einen Augenblick standen sie schweigend beieinander, lauschten den Vögeln, beobachteten, wie sich das Licht veränderte, und Susan genoss die Einsamkeit und den Frieden. Ihr Blick fiel auf ihr Spiegelbild im Wasser, das so still war, dass sie die Stickerei auf ihrem T-Shirt und die Bartstoppeln auf dem Gesicht des alten Mannes erkennen konnte. Sie spürte die Energie des alten Aborigines neben ihr, und sie hatte keine Ahnung, was sie als Nächstes sagen sollte. Genau in dem Moment wirbelte ein großer Fisch die Oberfläche in der Nähe des Ufers auf.
    »Was war das?«, fragte Susan, abrupt aus ihren Träumen gerissen.
    »Ein großer Barramundi. Ein

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