Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)
ein geduldiger Mensch, aber selbst seine Geduld hatte ihre Grenzen. »Du weißt, dass das nicht stimmt, genauso wie du weißt, dass deine Behauptung eine Beleidigung für uns beide ist. Also halt einfach den Schnabel.«
»Ich …«
»Ich empfinde etwas für dich. Es macht die Sache zwar kompliziert, aber ich komme damit klar. Und abgesehen davon, Ripley, stehst du nicht im Mittelpunkt meiner Untersuchung. Du bist nur ein Teil davon. Ich werde mit meiner Arbeit weitermachen, ob mit oder ohne deiner Unterstützung. Das kannst du dir aussuchen.«
»Ich will nicht benutzt werden.«
»Ich auch nicht, und schon gar nicht als Zielscheibe deiner Wutausbrüche.«
Er hatte Recht, verdammt Recht, und sie schwankte. »Ich will nicht wie etwas Abartiges begafft werden, wie eine Missgeburt im Monstrositätenkabinett.«
»Ripley.« Seine Stimme wurde sanft. »Du bist nicht abartig, du bist ein Wunder.«
»Ich will auch kein Wunder sein. Kannst du das denn nicht verstehen?«
»Doch, das kann ich. Das kann ich sogar sehr gut verstehen. Ich weiß genau, wie es ist, wenn man als das eine oder das andere betrachtet wird oder als beides zugleich. Was soll ich dir sagen? Das Einzige, was du sein kannst, ist, wer und was du bist.«
Ihre Wut war verraucht. Sie konnte noch nicht einmal mehr einen Rest davon finden. Mac hatte sie unter den Tisch geredet, aber nicht deshalb, weil er etwas von ihr wollte, sondern weil er endlich begriffen hatte. Weil er den Kern des Problems verstand.
»Vielleicht habe ich nicht geglaubt, dass du mich verstehen würdest, dass du wissen würdest, wie mir zu Mute ist. Vielleicht hätte ich dir mehr vertrauen sollen. Ich nehme an, wenn man so eine Intelligenzbestie ist wie du, betrachten die Leute einen als eine Art Wunder, und das ist nicht immer angenehm. Wie machst du das bloß?«, verlangte sie zu wissen. »Wie schaffst du es bloß, so verflucht ruhig und ausgeglichen zu bleiben?«
»Ich bin nicht … Hör auf damit, Lucy!« Er hielt noch immer Ripleys Arme umfasst und trat einen halben Schritt zurück, als der Hund plötzlich laut zu bellen begann und sich zitternd zwischen sie drängte. Dann sah er, was Lucys Aufmerksamkeit erregt hatte.
Sie stand reglos am Saum des Wassers, so wie er sie schon einmal hatte dastehen sehen. Und sie beobachtete ihn und Ripley. Ihr Gesicht war bleich im Mondlicht, ihr dunkles Haar zerzaust, während der Wind mit den langen Locken spielte. Ihre Augen schienen in der Finsternis zu leuchten. Tiefgrün und von einer tiefen Traurigkeit erfüllt.
Eine Welle brach sich donnernd am Strand, ergoss sich über ihre Füße und Knöchel, doch sie rührte sich nicht, ließ durch nichts erkennen, dass sie die Kälte oder die Nässe fühlte.
Sie stand ganz einfach nur da und beobachtete Mac und Ripley während Tränen über ihre Wangen strömten.
»Du siehst sie auch«, murmelte Mac.
»Ich sehe sie schon mein ganzes Leben lang.« Plötzlich müde, wich Ripley einen Schritt vor ihm zurück, denn es wäre zu leicht gewesen, erschreckend leicht, sich in seine Arme zu schmiegen. »Ich werde dir Bescheid sagen, zu welcher Entscheidung ich gekommen bin, wenn ich mich entschieden habe. Und ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich so ausfallend gewesen bin und nach dir geschlagen habe. Dass ich dir alles vermasselt habe. Aber im Moment habe ich das dringende Bedürfnis … allein zu sein.«
»Ich begleite dich nach Hause.«
»Nein. Danke, aber nein. Komm, Lucy.«
Mac blieb stehen, wo er war, zwischen zwei Frauen. Und beide zogen ihn unwiderstehlich an.
10
Es war ein seltsames Gefühl für Nell, an die Tür eines Hauses zu klopfen, in dem sie selbst einmal gewohnt hatte. Ein Teil von ihr betrachtete das gelbe Cottage immer noch als ihr gehörig.
In dem weißen Palast in Kalifornien hatte sie wesentlich länger gelebt, und doch hatte sie ihn nie als ihr Zuhause betrachtet. Höchstens als ihr Gefängnis, ein Gefängnis, dem zu entrinnen sie sogar ihr Leben riskiert hatte.
Aber das kleine Cottage nahe dem Wald hatte ihr nur für ein paar Monate gehört, und es hatte ihr ein paar der glücklichsten Augenblicke ihres Lebens beschert. Es war ihr erstes richtiges Zuhause gewesen, der Ort, an dem sie endlich begonnen hatte, sich stark und sicher zu fühlen. Der Ort, an dem sie und Zack sich ineinander verliebt hatten.
Selbst die Schrecken, die sie ebenfalls dort erlebt hatte, die Erinnerung an das Blutvergießen, konnten nicht das Gefühl des Zuhauseseins zerstören, das ihr
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