Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)
wischte die Träne rasch weg und wandte sich ab, um wieder auf das Meer hinauszublicken. »Ich hab euch beide nur da drinnen gesehen, wie ihr euch umschlungen gehalten habt, und auch noch an genau der speziellen Stelle.«
»Was … O Gott, Mia!« Ripley schlug sich erschrocken die Hände vors Gesicht, als sie sich an die in Stein eingeritzte Widmung erinnerte. »Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich schwöre dir, dass ich mir nichts dabei gedacht habe.«
»Wieso solltest du auch? Es sollte auch eigentlich gar nicht mehr wichtig sein.« Mia verschränkte die Arme vor der Brust, umfasste fest ihre Ellenbogen. Weil es wichtig war und auch immer wichtig bleiben würde. »Es ist schon lange her, dass er das geschrieben hat. Vor langer Zeit, als ich noch dumm genug war zu glauben, dass er es ehrlich meinte. Als ich ihn brauchte.«
»Er ist es nicht wert. Kein Mann ist es wert.«
»Du hast natürlich Recht. Aber ich glaube leider, dass es für jeden von uns einen Menschen gibt, der alles wert ist.«
Ripley sagte nichts, sondern legte Mia nur eine Hand auf
die Schulter und ließ sie dort liegen, als Mia danach griff und sie fest drückte.
»Du fehlst mir, Ripley.« Der Schmerz, der in diesem Satz lag, zitterte in ihrer Stimme wie Tränen. »Ihr beide habt große Lücken in mir hinterlassen. Und keinem von uns beiden wird es morgen noch angenehm sein, dass ich das jetzt ausgesprochen habe. So.« Mit einer brüsken Bewegung ließ sie Ripleys Hand wieder los und trat einen Schritt zur Seite. »Armer Mac. Ich sollte mich bei ihm entschuldigen.«
»Ich glaube, du hast eines von seinen Spielzeugen in Rauch aufgehen lassen. Aber er schien eher begeistert als wütend darüber zu sein.«
»Trotzdem sollte man sich besser unter Kontrolle haben.« Mia brachte ein breites Lächeln zu Stande. »Wie du sehr gut weißt.«
»Ach, leck mich doch am Ärmel!«
»Aha, wir sind wieder normal. Also gut, ich werde sehen, was ich tun kann, um die Sache wieder in Ordnung zu bringen.« Sie machte sich wieder auf den Weg zur Höhle, blickte noch einmal über ihre Schulter zurück. Ihre Augen waren wieder trocken und klar. »Kommst du?«
»Nein, geh du schon mal vor.« Ripley wartete so lange, bis Mia im Schatten der Höhle verschwunden war, bevor sie einen langen Seufzer ausstieß. »Du fehlst mir auch.«
Sie wartete noch eine Weile länger, hockte sich neben einem Priel im Watt nieder, bis sie sich schließlich zusammenriss. Mia ist schon immer besser als ich gewesen, wenn es darum ging, sich wieder in den Griff zu bekommen, dachte sie. Und sie hatte Mia um diese brillante Selbstbeherrschung schon immer beneidet.
Sie beobachtete die kleine, abgeschlossene Welt im Wasser. Auch eine Art von Insel, dachte sie, wo jeder um des Überlebens willen auf den anderen angewiesen ist.
Mia war von ihr abhängig. Doch daran wollte Ripley
nicht denken, wollte die Verbindung zwischen ihnen und die Verantwortung, die damit auf ihren Schultern lastete, nicht akzeptieren. Diese Weigerung hatte ihr ein ganzes Jahrzehnt der Normalität geschenkt – und hatte sie eine geliebte Freundin gekostet.
Dann war Nell gekommen, und der Kreis hatte sich aufs Neue gebildet. Die Kraft dieses Kreises war so strahlend, so stark gewesen. Als ob sie sie niemals über viele Jahre hinweg in ihrem Inneren eingeschlossen hätte. Es war schwer gewesen, sehr schwer, den Schlüssel wieder herumzudrehen.
Und jetzt war Mac da. Und sie musste entscheiden, ob er ein weiteres Glied der Kette war, die sie hinunterzog, oder ob er der Schlüssel zu einem weiteren Schloss war. Sie wünschte sich von ganzem Herzen, dass er einfach nur ein Mann sein könnte.
Mias amüsiertes Gelächter schallte aus der Höhle herüber und veranlasste Ripley, sich wieder aufzurichten. Wie macht sie das bloß?, fragte Ripley sich. Wie schaffte sie es, sich in einer solch kurzen Zeitspanne wieder zu fangen und ein völlig anderes Gesicht aufzusetzen?
Sie machte sich in genau dem Moment auf den Weg zur Höhle, als Mia und Mac herauskamen. Für einen kurzen Moment sah Ripley eine andere Frau, ihr Haar so leuchtend wie Feuer, aus jener dunklen Öffnung heraustreten. In ihren Armen lag ein zusammengerollter schwarzer Pelz.
Die Vision verschwamm, zerfloss und löste sich dann völlig auf, wie ein Aquarell, das man draußen im Regen liegen gelassen hatte. Sie hinterließ diese leichten Kopfschmerzen, die jene Bilder immer mit sich brachten.
Zehn Jahre, dachte Ripley wieder. Zehn Jahre lang hatte sie
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