Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)
mich aufpassen.«
»Daran zweifle ich nicht, aber das ist nicht der Punkt, um den es geht. Die beiden beschützen auch dich, aber das ist etwas, womit du nicht so richtig umzugehen weißt.«
»Du kennst mich doch gar nicht gut genug, um zu wissen, womit ich umgehen kann und womit nicht.«
»Ich kenne dich schon mein ganzes Leben.«
Sie streckte die Hand aus, um ihn aufzuhalten, bevor er die Höhle verließ. »Was soll das denn heißen?«
Nun waren seine Augen nicht mehr kühl, sondern von einem tiefen, intensiven Gold, als sich ihre Blicke trafen. »Ich habe dich einmal gebeten, mir von deinen Träumen zu erzählen. Eines Tages werde ich dir von meinen erzählen.«
Er hat mir die Träume geschickt, das sagte sie sich immer wieder, noch während sie mitten in sie hineingesogen wurde. Aber das Wissen, dass es nur ein Traum war, konnte nicht verhindern, dass sie von dem Strudel mitgerissen wurde.
Sie stand am Strand, und es kam ein Sturm herbeigebraust, so schnell wie ein Zug, der sich selbstständig gemacht hatte. Und der Sturm war ihre Wut. Doch es waren noch andere bei ihr, Schatten und Lichter. Liebe. Und die mit Stacheldraht umwickelte Falle ihres Gegenteils.
Ein Blitzstrahl schoss vom Himmel herab, ein silbernes Messer das die Erde in zwei Stücke hieb. Die Welt um sie herum war Wahnsinn, und dieser Geschmack war unglaublich verlockend. Du hast die Wahl, jetzt und immer.
Die Energie peitschte sie. Und brannte in ihr.
Die Wahl, jetzt und immer. Sie konnte den Arm ausstrecken,
konnte die Hand ergreifen, die sich ihr anbot, die die Brücke zum Licht war. Oder sie konnte in der Dunkelheit bleiben und sich von Zorn und Wahnsinn nähren.
Sie war hungrig.
Ripley wachte in Tränen aufgelöst auf, während noch immer Bilder der Zerstörung in ihrem Kopf herumwirbelten.
11
Sie fragte andere nur selten um Rat. Ripleys Erfahrung nach waren die Ratschläge anderer Leute nämlich meistens nicht so leicht zu verdauen. Aber dieser Traum hatte sie doch ziemlich verunsichert.
Fast ein halbes Dutzend Mal an diesem Tag war sie nahe daran gewesen, Zack alles zu erzählen. Er war bisher immer für sie da gewesen, und ihre Freundschaft war so stark und unumstößlich wie ihre Blutsverwandtschaft. Aber sie musste sich doch eingestehen, dass sie zum Ausheulen lieber eine Frauenschulter hätte. Mia und Nell kamen jedoch dafür nicht in Frage. Die beiden waren selbst zu sehr in die ganze Sache involviert.
Aber es gab da eine Person, die mit ihnen allen verbunden war und bei der man immer darauf zählen konnte, dass sie einem die Wahrheit sagte. Ob man sie nun gerade hören wollte oder nicht. Ripley ging zu Lulu.
Sie wartete den Zeitpunkt ab, an dem Lulu ihrer Schätzung nach von der Arbeit in der Buchhandlung nach Hause zurückgekehrt sein musste, es sich aber noch nicht zu gemütlich gemacht hatte. Nachdem Ripley durch den kunstvollen Vorgarten gestiefelt war, ihre Augen an die schrillen Farben gewöhnt hatte, die Lulu immer wieder auftrieb, um damit ihr Haus zu streichen, und an die Hintertür geklopft
hatte, stellte sie zufrieden fest, dass ihr Timing genau richtig war.
Lulu hatte ihre Arbeitskleidung ausgezogen und trug nun eine bequeme Freizeithose und ein Sweatshirt mit dem aufgedruckten Spruch: Kaffee, Schokolade, Männer … manche Dinge sollten einfach reich sein. In der Hand hielt sie eine noch ungeöffnete Flasche Wein, und sie hatte diesen leicht irritierten Blick einer Frau, die sich gerade gestört fühlte.
»Was ist los mit dir?«, fragte sie brüsk.
Das war zwar nicht gerade die herzlichste aller Begrüßungen, aber so war Lulu eben. »Hast du mal einen Moment Zeit?«
»Ich schätze schon.« Lulu drehte sich um und klapperte mit ihren karottenroten Slippern zur Anrichte, um einen Korkenzieher zu holen. »Soll ich dir hiervon auch ein Glas einschenken?«
»Ich hätte nichts dagegen.«
»Ein Glück, dass ich mir diesen Joint noch nicht angezündet hatte.«
Ripley zuckte zusammen. »Verdammt noch mal, Lu.«
Lulu lachte meckernd und ließ den Korken knallen. »War doch nur Spaß – damit kann man dich aber auch immer wieder reinlegen. Hab schon seit …«, sie wurde nostalgisch und stieß einen Seufzer aus, »… sechsundzwanzig Jahren keinen mehr gequarzt. Dein Daddy war der Erste und Letzte, der mich hochgenommen hat. Er hat damals mein hübsches kleines Pflänzchen und meinen Vorrat einfach konfisziert. Hat mir erklärt, dass er wüsste, dass ich dort, wo das Zeug herkam, noch mehr davon
Weitere Kostenlose Bücher