Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)
das alles verdrängt und abgeblockt. Jetzt sickerte es langsam wieder heraus. Wie eine Flüssigkeit, die sich ihren Weg durch die Risse in einem Glas bahnte. Wenn sie diese Risse nicht schnell wieder versiegelte, würde es bald alles aus ihr
herausbrechen. Und würde sich nie wieder eindämmen lassen.
Obwohl ihre Knie ganz weich und zittrig geworden waren, schritt sie trotzdem vorwärts. »Was gibt es denn so Witziges, dass ihr so lacht?«
»Nichts. Wir haben einfach nur Spaß zusammen.« Mia legte einen Arm um Mac und schenkte ihm einen langen, warmen Blick unter dichten Wimpern hervor.
Ripley schüttelte nur den Kopf. »Wisch dir dieses dämliche Grinsen vom Gesicht, Booke. Sie macht das mit Absicht. Mia, was ist das bloß für eine komische Sache mit dir und den Männern? Du brauchst einem Mann nur näher als einen Meter zu kommen, und schon sinkt sein Intelligenzquotient unter seine Gürtellinie.«
»Das ist nur eines meiner vielen Talente. Nun gucken Sie nicht so verlegen, Mac.« Sie erhob sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange.
»Sie weiß, dass ich nie wildere.«
»Dann hör auf, ihn aufzureizen. Er fängt ja schon an zu schwitzen.«
»Ich mag ihn eben.« Mia schmiegte sich betont eng an ihn. »Er ist so süß.«
»Gibt es irgendeine Möglichkeit, wie ich mich in das Gespräch mit einklinken kann«, fragte Mac, »ohne wie ein kompletter Idiot dazustehen?«
»Nein. Aber ich glaube, wir sind jetzt auch fertig.« Ripley hakte die Daumen in ihre Jackentaschen. »Wie geht’s deinem Kopf?«
»Es ist nichts, was ein paar Packungen Aspirin nicht wieder kurieren könnten.« Als er die Hand hob, um vorsichtig über die Beule zu tasten, wurden Mias Augen zu schmalen Schlitzen.
»Haben Sie sich verletzt? Lassen Sie mich mal sehen.« Sie war wesentlich behutsamer, als Ripley es gewesen war, aber
sie konnte genauso energisch zupacken. Nachdem sie einen Blick auf die Wunde geworfen hatte, stieß sie den Atem aus. »Du hättest ein bisschen Mitleid mit ihm haben können«, fauchte sie Ripley an.
»Es ist doch nur ein Kratzer.«
»Die Wunde blutet noch immer, und sie ist geschwollen und schmerzt – und alles das muss nicht sein. Setzen Sie sich«, befahl sie und zeigte auf einen Haufen Felsbrocken.
»Es ist wirklich nichts. Machen Sie sich darüber nur keine Gedanken. Ich stoße mich dauernd an irgendwas.«
»Setzen.« Mia drückte Mac förmlich hinunter und zog einen kleinen Beutel aus ihrer Tasche. »Ich habe … eine Verbindung zu der Höhle«, erklärte sie, als sie etwas Cayenne aus dem Beutel nahm. »Und deshalb auch eine Verbindung hierzu. Halten Sie still.« Sie strich langsam mit den Fingern über die Wunde. Er spürte, wie sich Hitze an der Stelle ansammelte, wie sich der Schmerz an dieser Stelle bündelte. Bevor er noch etwas sagen konnte, begann sie leise zu singen.
»Mit Kraut und Hand und Glauben zu heilen, diese Wunde unter meinem Schutz soll heilen. Von Krankheit und Schmerz er soll sich befreien. Wie ich will, so soll es sein. Jetzt.« Sie beugte sich über ihn und drückte ihre Lippen ganz leicht auf die Mitte seines Kopfes. »Besser?«
»Ja.« Er stieß einen langen Seufzer aus. Der Schmerz und das grässliche Hämmern in seinem Schädel waren verschwunden, noch bevor sie ihren Gesang beendet hatte. »Ich habe wohl schon gesehen, wie Cayenne bei kleineren Schnittwunden gewirkt hat, aber nicht bei etwas wie diesem hier. Zumindest nicht so unglaublich schnell.«
»Das Kraut ist nur eine Art Hilfsmittel. Und seien Sie in Zukunft vorsichtiger mit Ihrem hübschen Kopf. Dann also Freitag?«
»Ich freue mich schon darauf.«
»He, Moment mal.« Ripley hielt eine Hand hoch. »Was war das?«
»Ich dachte, es wäre nur fair, wenn ich Mac dafür entschädige, dass ich sein Gerät kaputtgemacht habe. Ich habe ihn für Freitag eingeladen, damit er einem Ritual beiwohnen kann.«
Ripley verschlug es die Sprache, aber nur für einen Augenblick, dann griff sie nach Mias Arm. »Kann ich dich mal einen Moment sprechen?«
»Natürlich. Warum begleitest du mich nicht zu meinem Auto?« Mia schenkte Mac ein ungezwungenes Lächeln. »Dann also Freitag, nach Sonnenuntergang. Sie kennen ja den Weg.«
»Du hast ganz offensichtlich den Verstand verloren«, begann Ripley, als sie mit Mia davonging. »Seit wann praktizierst du für Zuschauer?«
»Er ist Wissenschaftler.«
»Umso schlimmer. Jetzt hör mir mal zu …« Ripley unterbrach sich, als sie den Abhang zur Straße hinaufkletterten.
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