Im Licht der Träume: Drei Romane in einem Band (German Edition)
passiert. Alles.
Und, nein, um Gottes willen, sie war wieder nackt.
Hatte er ihr Drogen verabreicht? Sie hypnotisiert? Sie betrunken gemacht? Wie ließe es sich sonst erklären, dass sie tief und fest wie ein neugeborenes Baby – und auch noch nackt wie ein neugeborenes Baby – in einem Bett im Hause eines Wahnsinnigen geschlafen hatte?
Instinktiv zog sie die Decke hoch und entdeckte dann erst die einzelne weiße Rose.
Was für ein süßer, romantischer, wenn auch leider verrückter Mann, dachte sie und nahm die Rose, deren Duft ihr unwiderstehlich in die Nase stieg.
Diese Geschichte, die er ihr erzählt hatte – über Magie und Verrat und eine fünfhundertjährige Strafe. Er schien tatsächlich daran zu glauben, überlegte sie, während sie versonnen an der Rose schnupperte. Und sie hatte die Geschichte auch geglaubt. Hatte gebannt zugehört und ihm jedes einzelne Wort abgenommen – jedenfalls für den
Moment. Hatte nicht ein einziges Detail angezweifelt, sondern Mitgefühl und Zorn über die grausame Strafe empfunden. Und dann …
Er hatte sie geküsst, fiel ihr nun wieder ein. Verwundert über sich selbst, presste sie die Fingerspitzen an die Lippen. Der Mann hatte sie geküsst und ihren Mund erkundet, als wäre er eine köstliche, süße Cremespeise. Und sie hatte sich gewünscht, dass er sie küsste. Hatte sogar weit mehr gewünscht als das.
Und vielleicht, überlegte sie, während sie die Decke unwillkürlich noch höher zog, war ja tatsächlich mehr passiert.
Erschrocken über diesen Gedanken, stand sie auf, wobei sie sich bemühte, keinen Lärm zu machen. Sie musste unbedingt von hier verschwinden. Aber dafür brauchte sie etwas zum Anziehen.
Auf Zehenspitzen schlich sie zum Schrank, zog die Tür auf und zuckte bei dem quietschenden Geräusch zusammen. Angesichts der verschwenderischen Fülle aus Samt, Seide und Spitze, alles in herrlichen, kühnen Farben, schüttelte sie fassungslos den Kopf. Was für schöne Kleider. Die Art von Kleidung, die sie sehnsüchtig beäugen, aber selbst niemals kaufen würde. Zu unpraktisch, zu frivol.
Einfach atemberaubend.
Energisch mahnte sie sich zur Vernunft und holte aus dem Schrank ihre praktische Hose sowie den zerrissenen Pullover hervor … nur war er nicht zerrissen. Verdutzt stülpte sie den Ärmel nach außen und suchte nach dem Riss. Nichts zu sehen.
Sie hatte sich diesen Riss nicht eingebildet. Das war
völlig ausgeschlossen. Da sie zu frösteln begann, zog sie sich den Pullover über den Kopf und schlüpfte in die Hose. In die Hose, die völlig sauber war, obwohl sie eigentlich voller Matschflecken sein müsste.
Sie wühlte sich im Schrank durch seidene Abendschuhe und Ziegenlederstiefel hindurch, bis sie ihre schlichten, flachen Laufschuhe gefunden hatte. Schuhe, die abgelaufen und dreckverkrustet sein müssten. Und der linke Schuh müsste im Bereich des großen Zehs, dort, wo sie letzten Monat im Laden gegen eine Kommode gestoßen war, etwas aufgeschrammt sein.
Doch die Schuhe waren sauber und ohne jede Schramme, als kämen sie frisch aus dem Schuhkarton.
Nun, darüber könnte sie sich später Gedanken machen. Wie über alle anderen Dinge. Jetzt musste sie erst einmal weg von hier. Weg von ihm. Weg von allem, was ihr hier widerfahren war.
Auf wackligen Knien schlich sie zur Tür und spähte hinaus. Sie sah wunderschöne Teppiche, alte Gemälde, reich bestickte Gobelins und etliche andere Türen, die alle geschlossen waren. Aber kein Anzeichen von Flynn.
Sie schlüpfte aus der Tür und huschte über die weichen Teppiche zur Treppe. Wachsam nach allen Seiten spähend, hetzte sie die Stufen hinunter, stürmte zur Haustür, riss sie mit beiden Händen auf.
Und rannte geradewegs in Flynn hinein.
»Guten Morgen.« Er hielt sie an den Schultern fest und stellte sich vor, wie schön es wäre, wenn sie ihm entgegenliefe, statt vor ihm wegzurennen. »Sieht aus, als hätte es zu regnen aufgehört.«
»Ich wollte … ich, ehm …« O Gott! »Ich wollte nach meinem Wagen sehen.«
»Sicher. Vielleicht solltest du warten, bis sich der Nebel gelichtet hat. Wie wäre es mit einem Frühstück?«
»Nein, nein. Danke.« Sie lächelte gezwungen. »Im Moment interessiert mich nur, in welchem Zustand mein Wagen ist. Ich werde das überprüfen und dann, ehm … Bescheid geben.«
»Gut. Ich werde dich dorthin bringen.«
»Nein, nein. Das ist wirklich nicht nötig.«
Doch er drehte sich einfach um und stieß einen Pfiff aus. Dann nahm er ihre Hand
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