Im Licht der Träume: Drei Romane in einem Band (German Edition)
und zog sie, ihre wütenden Befreiungsversuche ignorierend, die steinernen Eingangsstufen hinunter.
Kayleen unterdrückte einen Schrei, als aus dem Nebel plötzlich ein weißes Pferd auftauchte. Es kam direkt auf sie zugaloppiert und glich mit seiner wehenden Mähne und dem hell klingelndem Zaumzeug eher einem mythischen Fabelwesen. Seine kraftvollen Beine wirbelten den Nebel auf, sein herrlicher Kopf war mutwillig nach hinten geworfen.
Nur wenige Zentimeter vor Flynn blieb das Pferd stehen, schnaubte leise und stupste dann mit der Schnauze gegen Flynns Brust.
Lachend schlang Flynn die Arme um den Hals des Tieres. Mit derselben Freude, dachte Kayleen, wie ein Junge einen geliebten Hund umarmt. Dann redete er mit dem Pferd in jener leisen, melodischen Sprache, die Kayleen inzwischen als Gälisch wiedererkannte.
Schließlich ging er einen Schritt zurück, hob eine Hand,
öffnete sie – und auf der vorher leeren Handfläche lag plötzlich ein glänzender roter Apfel. »Denkst du etwa, ich würde deinen Leckerbissen vergessen? Hier, mein Schöner, das ist für dich«, sagte er, woraufhin das Pferd den Kopf senkte und den Apfel manierlich aus Flynns Hand fraß.
»Sein Name ist Dilis. Das bedeutet ›treu‹, und treu ist er.« Leichtfüßig und elegant schwang sich Flynn in den Sattel und hielt Kayleen die Hand hin.
»Danke, sehr aufmerksam. Das ist ein wirklich schönes Pferd, aber ich kann nicht reiten. Ich werde einfach …« Weiter kam sie nicht, denn Flynn beugte sich kurzerhand zu ihr hinunter, packte sie am Arm und zog sie mühelos vor sich auf den Sattel, so dass sie mit dem Gesicht ihm zugewandt war.
»Ich kann reiten«, versicherte er ihr und trat Dilis leicht in die Flanken.
Das Pferd bäumte sich auf, und Kayleens Schrei vereinte sich mit Flynns Lachen, als das schöne Tier mit den Vorderbeinen in die Luft stieß. Dann machte das Pferd einen Satz nach vorn und jagte in rasendem Galopp auf den Wald zu.
Kayleen blieb nichts anderes übrig, als sich festzuhalten. Sie schlang die Arme um Flynn und vergrub das Gesicht an seiner Brust. Es war verrückt, absolut verrückt. Sie war eine normale Frau, die ein normales Leben führte. Wie war es möglich, dass sie nun auf einem wunderschönen Schimmel durch einen irischen Wald galoppierte, geschmiegt an einen Mann, der behauptete, ein Zauberer aus dem fünfzehnten Jahrhundert zu sein?
Das musste aufhören, und zwar sofort.
Sie hob den Kopf, um ihm zu sagen, er möge sein Pferd doch bitte anhalten und sie absteigen und allein weitergehen lassen. Doch vor Staunen fehlten ihr dann doch die Worte. Durch die Baumkronen flimmerten Sonnenstrahlen, und die Luft leuchtete weich wie Perlmutt.
Das Pferd unter ihr jagte schnell und geschmeidig in einem atemlosen und waghalsigen Tempo dahin. Und der Mann, der das Pferd lenkte, war eindeutig der umwerfendste Mann, den sie je gesehen hatte.
Sein dunkles Haar wehte, seine Augen glitzerten. Und die Traurigkeit, die ihn sonst ständig umgab und die einen Teil seiner eigenartigen Anziehungskraft ausmachte, war gewichen. Nun malten sich in seinen Zügen Freude, Erregung, Übermut, Herausforderung.
Und während sie ihn ansah, schlug ihr Herz so schnell wie die hämmernden Hufe. »O Gott.«
Nein, man konnte sich nicht in einen völlig Fremden verlieben. In der realen Welt geschah das nicht.
Schwach ließ sie den Kopf wieder an seine Brust zurücksinken. Aber vielleicht sollte sie sich langsam eingestehen oder zumindest in Betracht ziehen, dass sie die reale Welt an jenem Abend, als sie falsch abgebogen war, verlassen hatte.
Dilis ging in einen Kanter über und blieb dann stehen. Erneut hob Kayleen den Kopf. Diesmal begegnete sie Flynns Blick. Diesmal las er, was in ihren Augen stand. Und von unsäglicher Freude erfüllt, beugte er den Kopf zu ihr hinunter.
»Nein. Nicht.« Sie legte ihm die Hand auf die Lippen. »Bitte nicht.«
Unwillig nickte er. »Wie du wünschst.« Leichtfüßig
sprang er vom Pferd und hob Kayleen aus dem Sattel. »Offensichtlich ist dein Mittel der Fortbewegung weniger zuverlässig als meines«, sagte er, Kayleen an den Schultern herumdrehend.
Der Wagen war mitten in eine Eiche gekracht. Und die Eiche war erwartungsgemäß als Sieger aus diesem Kampf hervorgegangen. Die Motorhaube war wie ein Akkordeon gefaltet, das Sicherheitsglas der Windschutzscheibe hatte ein surrealistisches Muster aus Rissen und Sprüngen. Der Airbag war aufgegangen und hatte sie zweifellos vor ernsthaften Verletzungen
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