Im Licht des Blutmondes
kleine dreibeinige Stuhl kippte, und Joleen spürte, wie sie das Gleichgewicht verlor.
Kalte, starke Arme fingen sie sanft auf und stellten sie wieder auf die Füße.
„Langsam, Joleen.“ Ihre Freude darüber, dass sie mit Zach wirklich in die Stadt fahren durfte, war groß. Fest schlang sie ihre Arme um seine Hüfte, während sie ihr Gesicht an seinem Bauch vergrub. Sie spürte, wie Zach ihr liebevoll den Kopf tätschelte und sie dann sanft von sich wegschob.
„Fahren wir wirklich?“, fragte Joleen leise. Sie konnte es immer noch nicht glauben, denn Ausflüge in die Stadt, ob nun in Begleitung eines Vampires oder aber einer Blutsklavin, waren sehr selten und als Belohnung vorgesehen.
„Ja, wenn du das möchtest, dann fahren wir wirklich“, erklärte Zach und Joleen lächelte ihn dankbar an. „Aber nur, wenn du jetzt schnell in deinem Bett verschwindest. Die Sonne geht bald auf und ich will nicht, dass du dann noch wach bist.“
Dies war auch etwas, was Joleen komisch fand. Die Vampire wollten, dass sie wach waren, wenn auch sie wach waren, was bedeutete, dass Joleen tagsüber schlafen musste. Nachmittags startete ihr Unterricht, und die Vampire standen auf. Sie verbrachten nicht viel Zeit mit ihnen. Als Joleen Zach einmal um eine Erklärung bat, erzählte er ihr, dass sie den gleichen Rhythmus wie die Vampire bekommen sollten.
Als Joleen Zachs strengen Blick sah, merkte sie, dass sie immer noch regungslos vor ihm im Badezimmer stand. Sie nickte und lief dann schnell zu ihrem Bett, um sich unter die Decke zu kuscheln.
Zach löschte das Licht im Badezimmer. Plötzlich lag Joleens Zimmer in einer undurchdringlichen Dunkelheit. Sie hatte keine Angst im Dunklem, aber es war komisch, dass sie zwar hörte, wie die Badezimmertür verschlossen wurde, doch nicht, ob Zach sich durch das Zimmer bewegte.
Erst als sie spürte, dass sich jemand auf das Bett setzte, wusste sie, dass er es war. Kalte Finger strichen ihr durch das Haar, ehe die Decke fester um sie gelegt wurde. Joleen seufzte wohlig, denn auch solch kleine, liebevoll gemeinten Gesten waren ihr bis zum Einzug in das Haus der Vampire unbekannt gewesen.
„Schlaf nun!“, flüsterte Zach und Joleen schloss augenblicklich die Augen.
„Danke“, murmelte sie noch, ehe sie in einen tiefen Schlaf fiel.
***
C IRRUS
Cirrus‘ Lippen wurden von einem kleinen, wissenden Lächeln umspielt, als er seinen Bruder dabei beobachtete, wie er den Flügel der Bluthuren verließ. Der friedliche Ausdruck auf seinem Gesicht zeigte, dass er bei Joleen gewesen war. Dieses Kind hatte so viel für sie alle geändert und sich in ihrer aller Herzen geschlichen.
Sein Bruder jedoch, hatte eine ganz besondere Beziehung zu diesem Kind, ohne dass er etwas davon ahnte. Sie hatte in ihnen allen die Menschlichkeit geweckt. Ein Gefühl, das sie beinahe über die Jahre vergessen hatten. Besonders bei Zacharias trat diese Veränderung deutlich hervor. Er und Joleen lebten in einer Art Abhängigkeit voneinander.
Der Kauf hatte sich für sie alle als Glücksfall herausgestellt. Joleen zeigte keinen natürlichen Abwehrreflex gegen sie. Für gewöhnlich riet der Instinkt der Kinder zur Vorsicht und zur Flucht, wenn sie auf einen Vampir trafen. Joleen war das offensichtlich abhandengekommen.
Sie zuckte nicht zusammen oder versteifte ihren Körper, wenn sie sie berührten. Sie sah ihnen ohne Scheu in die Augen. Die anderen Kinder begegneten ihnen schon nach kurzer Zeit mit der gleichen Demut und Scheu, wie es auch ihre Blutgefährtinnen taten.
Als Zacharias ihn bemerkte, grinste er vielsagend und blieb verwundert stehen.
„Ci? Wieso bist du nicht auf dem Fest?“, fragte Zacharias und runzelte seine Stirn.
„Weil mich derartige Dinge langweilen, Bruder“, erklärte Cirrus und ging einige Schritte auf seinen Bruder zu. „Wie wäre es, wenn wir beide uns einen Kelch Blut in der Bibliothek genehmigen?“ Zacharias‘ Augen hellten sich auf und er nickte.
„Das wäre mir genehm. Ich wollte ohnehin mit dir sprechen“, antwortete Zacharias. Cirrus ahnte bereits, worum es gehen würde. Gemeinsam mit seinem Bruder ging er zur Bibliothek des Hauses.
„Also, worüber wolltest du mit mir reden?“, fragte Cirrus, während er den Kelch entgegennahm, den eine seiner Blutsklavinnen mit Blut gefüllt hatte. Er hob seine Hand, um seinen Bruder davon abzuhalten, auf seine Frage zu antworten. „Lass mich raten. Es geht um Joleen.“
„Stimmt“, antwortete Zacharias und lächelte kurz.
Weitere Kostenlose Bücher