Im Licht des Blutmondes
Oberteil überstreifte. Sie fuhr sich mit der Zunge über ihre Lippen, nahm Tonys Geschmack und Geruch immer noch wahr. Wenn Tony irgendwann ihrer menschlichen Natur erlag und sterben würde, würde es ihr auch schwerfallen, eine andere Bluthure zu finden, bei der sie sich so wohl fühlte. Deswegen konnte sie ihren Bruder gut verstehen. Sie hoffte, sie würde es schaffen ihn für seine eigenen Bedürfnisse zu sensibilisieren.
***
J OLEEN
Sie presste ihre Hände auf den Bauch und biss die Zähne zusammen, um nicht unter der neuerlichen Schmerzwelle aufzustöhnen. Die Krämpfe waren heute besonders schlimm und ließen ihr einfach keine Ruhe. Ihr Kopf schwirrte, und es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren.
„Joleen, da du es nicht für nötig zu halten scheinst, aufzupassen, wirst du eine Strafarbeit bekommen. Komm nach dem Unterricht zu mir. Ich werde dir dann eine Aufgabe zuteilen“, drang die Stimme ihrer Mutter durch ihren Schmerz und Joleen zuckte zusammen.
„Ja, Lady Martina“, flüsterte sie leise. Sie hatte sie einmal Mutter genannt und war dafür von Martina geschlagen worden. Sie hatte ihr untersagt, sie so zu nennen und Joleen hielt sich daran. Erzählt hatte sie davon niemanden etwas. Ihre Mitschüler amüsierten sich darüber, drohten ihr an, sie bei ihrer Mutter anzuschwärzen, wenn sie nicht tat, was sie wollten.
Joleen erschauderte. Sie liebte es, bei den Vampiren zu leben, ein sicheres und warmes Zuhause zu haben. Sie liebte die Vampire, doch ihre Mutter machte ihr von Tag zu Tag mehr Angst. Und ihre Mitschüler … sie freute sich auf den Tag, an dem man ihr mitteilte, dass sie den Unterricht nicht weiter besuchen musste.
Seit die jüngeren Kinder da waren, war es besser. Sie waren sanft und behandelten Joleen mit einem gewissen Respekt. Sie dankte es ihnen, indem sie ihnen Geschichten vorlas oder mit ihnen spielte. Manchmal half sie ihnen auch bei ihren Hausaufgaben. Auch davon hatte sie niemandem etwas erzählt, doch nachdem Zach ihr einmal einige Märchenbücher geschenkt hatte, mit einem wissenden Glitzern in seinen Augen, wusste sie, dass ihre Handlungen nicht unbemerkt geblieben waren.
Niemand hatte sie darauf angesprochen, doch anscheinend waren die Vampire wie auch Christin und Tony zufrieden mit ihr. Nur ihrer Mutter konnte sie es niemals recht machen. Wenn sie eine Aufgabe bekam, gelang es Joleen nie, sie zur Zufriedenheit ihrer Mutter zu erfüllen, die jede Gelegenheit nutzte, sie vor ihrer Klasse bloßzustellen.
Joleen presste fest die Lippen aufeinander, um die Tränen zurückzuhalten. Wenn sie nun begann zu weinen, dann würde ihre Mutter sie erneut vorführen. Sie durfte nicht weinen, durfte nicht zulassen, ihre Sehnsucht zu zeigen, nur einmal von ihrer Mutter gelobt zu werden, so wie sie es bei den anderen Schülern gerne überschwänglich tat. Sie wusste, wenn sie dem Drang nachgab, wäre sie erneut der Mittelpunkt der Spötterei.
Leon, Anderson und Scarlett, die ihr, seit sie bei den Vampiren angekommen waren, das Leben schwer machten, gehörten zu den Lieblingsschülern ihrer Mutter. Martina übersah gerne, wenn sie über Joleen herzogen oder versuchten, sie zu ärgern. Joleen biss oftmals die Zähne zusammen und wagte es nicht, sich jemand anderem anzuvertrauen, da ihr Wort gegen das von ihnen allen stehen würde.
Die wenigen Momente, die sie allein mit einem der anderen Vampire verbringen durfte, oder aber auch die Zeit mit den jüngeren Kindern, halfen Joleen dabei, den Schikanen weiterhin zu widerstehen.
Sie schloss ihre Augen und sehnte sich das Ende des Unterrichts herbei. Vor der Strafarbeit selbst hatte sie keine Angst. Ihre Mutter fand in jeder Stunde einen Grund, ihr eine Extraarbeit zu geben.
Erneut zog sich alles in ihrem Bauch schmerzhaft zusammen und Joleen unterdrückte ein Aufstöhnen. Der Schmerz wanderte bis in ihren Kopf und nistete sich dort ein, um sie daran zu hindern, einen weiteren klaren Gedanken zu fassen. Übelkeit stieg in ihr auf, und sie versuchte sie zurückzudrängen, indem sie ruhig durch die Nase atmete.
Es half nicht. Die Übelkeit wurde immer stärker, und sie spürte, wie Magensaft in ihrer Speiseröhre nach oben kletterte. Zögernd, weil sie ahnte, dass es wieder nur Ärger geben würde, hob sie ihre Hand. Stumm flehte sie, dass sie sich nicht erbrach, solange sie sich noch in dem Raum, in dem sie unterrichtet wurde, aufhielt. Ihre Mutter ignorierte sie.
„Bitte, Lady Martina“, sagte sie laut, weil sie sich anders
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