Im Licht des Mondes: Roman (German Edition)
»Du hast Ärger.«
»Nein.« Ihre Stimme war klar und ruhig. »Ich habe alles unter Kontrolle.«
Sie glaubte es unbeirrt. Gerade weil sie den unabänderlichen Wert des Schicksals akzeptierte. Zweifel, Fragen, Befürchtungen würden nur ihre Macht verringern, wenn sie sie am dringendsten brauchte.
Die Vision war ungebeten gekommen und hatte sie körperlich etwas erschüttert. Das nahm sie keineswegs auf die leichte Schulter.
Sie bereitete sich sorgfältig vor. Es war weder die Zeit für spontanes Handeln noch für Eitelkeiten – obgleich sie beides liebte.
Im Nachhinein schien vieles von dem, was heute passiert war, als Vorbereitung gedacht gewesen zu sein. Ihre kochende Wut heute Morgen, die rasende Fahrt, und ja, der Sex. Den Körper von Frustration zu befreien und etwas zu genießen, wozu er am besten geeignet war, konnte ihr nur hilfreich sein bei dem, was auf sie zukam.
Die Kräuter und Öle für ihr Ritualbad waren sorgfältig gewählt. Rosen für seelische Kraft und Prophezeiung. Nelken zum Schutz. Iris für Weisheit, damit sie verstünde, was ihr gezeigt würde.
In dem für ihre Reise vorgeschriebenen Kerzenlicht tauchte sie ins Wasser, wusch sich Körper und Haare, klärte ihren Verstand.
Sie benutzte selbst gemachte Cremes und rieb sich damit ein, bevor sie sich in eine wallende weiße Robe hüllte. Sie wählte ihre Hilfsmittel, die sie an ihrem Anhänger befestigte, sorgfältig aus. Achat zum Schutz für die Reise, Amethyst, um ihr drittes Auge zu schärfen. An die Ohren hängte sie sich Malachite für die Suche nach Visionen.
Sie sammelte ihre Werkzeuge zusammen, ihren Weissagungs-Zauberstab mit Mondsteinen an der Spitze. Weihrauch und Kerzen, Schalen und Seesalz. Vorsorglich wählte sie auch eine Salbe, die die Energie aufbauen half, aus.
Dann ging sie in ihren Garten, um Frieden zu finden und auf ihre Schwestern zu warten.
Sie kamen zusammen an und fanden sie auf einer Steinbank neben einem Beet nickender Akelei.
»Ich brauche eure Hilfe«, sagte sie. »Ich erkläre es euch auf dem Weg zur Lichtung.«
Sie waren kaum im Wald, im abnehmenden Licht der Dämmerung, als Ripley ihre Schritte stoppte. »Du solltest nicht diejenige sein, die das macht. Ein Flug öffnet dich zu sehr, macht dich zu verletzlich.«
»Deshalb brauche ich meinen Kreis«, war Mias Kommentar.
»Ich sollte es tun.« Nell berührte Mias Arm. »Evan ist am meisten mit mir verbunden.«
»Und genau deshalb solltest du es nicht tun«, hielt Ripley dagegen. »Die Verbindung ist zu dicht. Ich habe es bereits einmal gemacht, deshalb sollte ich es wieder machen.«
»Du bist ohne jede Vorbereitung geflogen, ohne jeden Schutz, und du bist verletzt worden.« Mia zwang sich zu Geduld und ging weiter. »Die Vision kam ungebeten zu mir. Dies ist meine Sache, und ich bin gut vorbereitet. Du hast noch nicht wieder genug Kontrolle«, sagte sie zu Ripley. »Und du, kleine Schwester, noch nicht genug Erfahrung. Aber jenseits dieser Tatsachen ist das hier für mich bestimmt. Wir alle wissen das, also lasst uns keine Zeit mehr verschwenden.«
»Es gefällt mir nicht«, grummelte Ripley. »Erst recht nicht nach dem, was Sam letzte Nacht passiert ist.«
»Im Gegensatz zu manchen Männern habe ich es nicht nötig, mein Heldentum zu beweisen. Mein Körper wird im Kreis bleiben.«
Sie setzte ihren Beutel in der Lichtung ab und breitete die Hilfsmittel aus.
Nell zündete die Kerzen an. Sie war ruhig, weil Ruhe notwendig war. »Sag mir, was zu tun ist, wenn etwas schiefgeht.«
»Das wird nicht passieren«, versicherte Mia ihr.
»Wenn.«
»Wenn, dann holt ihr mich zurück.« Sie blickte nach oben und sah den Schein des aufgehenden Mondes über den Bäumen. »Wir beginnen jetzt.«
Sie legte ihr Gewand ab, trug nichts weiter als Kristalle. Sie ergriff die Hände ihrer Schwestern und begann mit dem Gesang, der ihr Bewusstsein aus ihrem Körper lösen und sie fliegen lassen würde.
»Öffne das Fenster, öffne das Tor. Ich bitte dich, schnell mich empor. Über die See und in den Himmel, mein Geist erhoben, befreit meine Sinne. Es liegt in meiner Macht, zu befehlen diesen Flug in der Nacht. Niemandes Leid, sondern Klarheit für mich soll diese Reise sein. Das ist mein Wille, so soll es sein.« Langsam breitete sich in ihr das wunderbare Gefühl von Schwerelosigkeit aus, das Gefühl, das Gewicht abzuwerfen, das ihren Geist an die Erde band. Sie schwebte, ein freier Vogel, der von seinen Flügelschlägen in den Himmel getragen wurde. Und
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