Im Licht des Mondes: Roman (German Edition)
einen winzigen Moment lang gab sie sich der Schönheit dieses Augenblicks hin.
Es war ein wertvolles Geschenk, aber sie wusste, dass die Bänder, die sie mit der Erde verbanden, durch eine kleine Unachtsamkeit zerschnitten werden könnten. Trotz der Erregung durch den Flug hatte sie nicht vor, ihre Existenz zu gefährden. Sie flog über das Meer, in dem das Sternenlicht wie glitzerndes Glas ausgebreitet auf einer dunklen Samtdecke funkelte. Aus seiner Tiefe erklang der Gesang der Wale, und die Musik trug sie hinüber.
Unter sich hörte sie das Geräusch des Verkehrs, nahm Gespräche in Häusern, den Duft der Bäume und von Essen wahr. Vom Leben unter sich.
Sie hörte den ersten Schrei eines neugeborenen Kindes. Und den letzten Seufzer eines Sterbenden. Das schnelle, stetige
Geräusch Lebender. Sie saugte die Helligkeit um sich herum auf und suchte die Dunkelheit.
Er hatte so viel Hass in sich. Er war unendlich, eine feste Schicht, und dennoch, wie sie feststellte, als sie näher kam, nicht nur sein eigener. Evan Remington war umgeben von einem ranzigen Geruch, der die Sinne peinigte. Aber weder seine Wächter noch die Ärzte oder Pfleger, die in die Nähe von Remington kamen, bemerkten den beißenden Geruch. Sie blendete die Stimmen, die Gedanken aller anderen aus und konzentrierte sich auf Remington – und das, was ihn benutzte.
Er war bereits präpariert für die Nachtruhe. Seine Zelle war Lichtjahre von dem Luxus entfernt, über den er früher verfügt hatte. Er hatte sich seit der Nacht, in der Nell ihn besiegt hatte, sehr verändert.
Sein Haar war dünner, sein Gesicht aufgeschwemmt und aufgequollen. Er sah nicht mehr gut aus, nicht mehr gepflegt, sein Gesicht spiegelte inzwischen wider, was er so lange Jahre in sich verborgen hatte.
Er trug einen schlottrigen orangefarbenen Overall und schritt in seiner Zelle auf und ab wie ein Soldat auf Wache.
»Sie können mich nicht hierbehalten. Sie können mich nicht hierbehalten. Ich muss arbeiten. Ich verpasse mein Flugzeug. Wo ist diese Hündin?« Er durchsuchte mit seinen Augen die kleine Zelle. Sein Mund verzog sich leicht verächtlich. »Sie verspätet sich schon wieder. Ich muss sie bestrafen. Sie lässt mir keine Wahl.«
Irgendjemand rief ihm von außen zu, mit diesem Scheiß aufzuhören, aber er unterbrach seine ruhelose Wanderung nicht, hörte nicht auf, wirres Zeug zu reden.
»Kann sie nicht sehen, dass ich Geschäfte zu erledigen habe? Verantwortung trage? Sie wird damit nicht durchkommen.
Wer zum Teufel glaubt sie zu sein! Huren, allesamt Huren.« Plötzlich ruckte sein Kopf nach oben, wie bei einer Marionette, und seine hasserfüllten Augen erglühten vor Wahnsinn. Rot glühendem Wahnsinn.
»Weißt du nicht, dass ich dich sehe, du räudige Hure? Ich werde dich töten, bevor es vorbei ist.«
Der Machtausbruch traf sie voll, ein Schlag direkt in den Unterleib. Sie fühlte, wie sie schwankte, niedergedrückt wurde. »Du bist mitleiderregend. Du benutzt einen Wahnsinnigen, um deine Macht zu horten. Ich brauche nur mich selbst.«
»Dein Tod wird langsam und schmerzhaft sein. Ich werde dich lange genug am Leben lassen, dass du sehen kannst, wie alles zerstört wird.«
»Wir haben dich schon zweimal besiegt.« Sie spürte den nächsten Energiestoß und lenkte ihn ab. Aber es kostete sie ihre ganze Kraft, und sie spürte, wie ihre Verbindung zitterte, als Remingtons Kopf sich in den eines schnappenden Wolfs verwandelte. »Und das dritte Mal wird es endgültig sein«, schloss sie und flog zurück.
Sie floss wieder in ihren Körper, schwankte und wäre möglicherweise gefallen, wenn Nell und Ripley sie nicht gestützt hätten.
»Bist du verletzt?« Die Dringlichkeit in Nells Stimme holte Mia zurück. »Mia?«
»Nein, ich bin nicht verletzt.«
»Du warst verdammt lange weg«, teilte Ripley ihr mit.
»Gerade lange genug.«
»Wenn du meinst.« Ripley hielt immer noch Mias Hand fest und machte eine Kopfbewegung. »Wir haben Gesellschaft bekommen.«
Als die Visionen langsam verschwanden, sah Mia Sam,
der außerhalb des Kreises stand. Er trug Schwarz, sein langer Mantel wehte in der Nachtluft. Seine Augen glitzerten in der Dunkelheit, aber wenn es Zorn sein sollte, war sie zu müde, ihm zu begegnen.
»Beende es, und schließe den Kreis.« Seine Stimme war brüsk, geschäftsmäßig. »Bevor du zusammenbrichst.«
»Ich weiß, was ich tun muss.« Sie streckte ihre Hand aus, um das Tonikum entgegenzunehmen, das Nell bereits in eine Tasse gefüllt
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