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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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groß, die sie ständig, und sinnvoll, beschäftigten. Die hellen, stummen Sterne der Nacht, so nah, dass man glaubte, in sie hineinlaufen zu können. Die Kakofonie der Vögel bei Tagesanbruch.
    Angelene fühlte ein leises Schaudern, wenn sie am Morgen ihren Schrank öffnete, wo ihr haferfarbenes Kleid an seinem Bügel hing, oder sie ihre Stiefel aneinandergelehnt auf der Veranda stehen sah. (Man drehte sie um und schüttelte, schlug sie gegen einen Pfosten, falls Mäuse darin waren.) Das schmale Bett mit der lila-rot-grün gesteppten Decke, der Nachttisch mit seinem Glas voller Steine, dem Bücherstapel. Die Porzellanschüssel beim Fenster, wo sie sich das Gesicht wusch, mit dem großen Sprung, der den Boden wie eine Ader durchzog, der Krug mit der aufgemalten braunen Rose. Der Aprikosengarten, die summenden Bienen, wie ein Nebel im Frühling. Die Scheune mit ihrem Geruch von Heu und Pferdemist, Fett, altem Leder. Das Sonnenlicht, das durch die Ritzen strömte. Die Schnauze des Maultiers in ihrer Handfläche.
    All diese Eindrücke verwahrte sie in ihrem Innern und ordnete sie unablässig neu, damit sie glücklich war. Wenn sie allein war, konnte sie alle Dinge klarer sehen. Die Einsamkeit barg zwar auch Angst in sich, aber aus irgendeinem Grund schärfte das die Sinne. Dieses Alleinsein, dieses Maß an Empfindsamkeit ließ sich nicht dauerhaft aufrechterhalten, doch für die kurze Zeit von Talmadges Abwesenheit war es herrlich, ein großes Geschenk an sie selbst.
     
    Soll er sie doch besuchen, dachte sie, als sie zum Bach ging, um Wasser zu holen. Was scherte es sie, Angelene?
    Es waren nicht die auf dem Bett ausgebreiteten Geschenke oder das Auslüften seines Anzugs, der ganze Wirbel darum, nicht das langsame, bedächtige Putzen seiner guten Schuhe, die er dann zur Sicherheit noch in eine Papiertüte wickelte. All das machte sie nur ein wenig argwöhnisch. Misstrauisch. Was sie dagegen am meisten fürchtete, war sein Schweigen. Wenn sie spürte, dass er etwas sagen wollte, es letztlich aber nicht schaffte. Sich abwandte. Die manchmal in seinem Blick erkennbaren Ausmaße dessen, was er nicht in Worte fasste.

    In der Pension in Chelan packte Talmadge seinen Leinensack aus: den Anzug, die Schuhe, das Rasierzeug, Dellas Geschenke. Ganz unten entdeckte er etwas ihm Unbekanntes: eine flache Schachtel, so groß wie sein Handteller, mehrfach mit Schnur umwickelt. Auf einem kleinen Kärtchen unter der Schnur – er zog es vorsichtig heraus – stand: »Für Della«. Die saubere Handschrift war unverkennbar. Er steckte die Karte wieder hinein und hielt die Schachtel einen Moment lang nachdenklich in der Hand, bevor er sie neben die anderen Dinge aufs Bett legte. Er rasierte sich, kämmte sich das Haar, zog den Anzug an, betrachtete sich in dem verbeulten Spiegel. Doch erneut konnte er sich nicht richtig sehen.
    Im Gericht stand diesmal eine junge Frau hinter dem Empfangsschalter. Sie hatte rotes, hoch aufgetürmtes Haar, eine kleine Nase, eisfarbene Augen. Als er sagte, er wolle den Amtsrichter sprechen, er habe um drei Uhr einen Termin, kniff sie zuerst die Augen zusammen, öffnete sie dann ganz weit und sagte mit leiser Stimme: Oh! Sie müssen Mister Talmadge sein! Dann drehte sie sich um und ging schnurstracks durch eine Tür am anderen Ende des Raumes hinaus.
    Talmadge wartete.
    Wenig später kam die Frau in Begleitung eines dünnen, bebrillten Mannes mittleren Alters zurück. Der Amtsrichter stellte sich ihm vor. Er hatte eine sanfte, heisere Stimme. Sie schüttelten einander die Hand.
    In Büro des Amtsrichters war gerade genug Platz für einen Schreibtisch, zwei Stühle und einen graugrünen Aktenschrank. Hinter dem Schreibtisch waren zwei große Fensterscheiben aus facettiertem Glas. In der Ecke stand ein kleiner Efeu, dem der Amtsrichter sich einen Moment lang widmete – er beugte sich darüber, zupfte sacht ein paar Blätter ab –, bevor er Talmadge bedeutete, auf dem Besucherstuhl Platz zu nehmen.
    Talmadge setzte sich und nahm den Hut ab. Räusperte sich. Sagte, zur Überraschung des Amtsrichters, der selbst gerade das Wort ergreifen wollte: Ich möchte mit Ihnen über … Della sprechen. Über ihre Situation.
    Er räusperte sich erneut, berührte den Hut auf seinem Knie. Er hatte diese Worte einstudiert und war erleichtert, dass er sein Anliegen ohne Versprecher vorgebracht hatte. Er wollte dem Amtsrichter zeigen, so hatten er und der Richter es besprochen, dass er ein ernsthafter, zuverlässiger Mann

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