Im Licht von Apfelbäumen | Roman

sehen?
    Ich hoffe es.
    Wieder drückte sie das Paket an ihre Brust, einen ratlosen, gedankenverlorenen Ausdruck auf dem Gesicht. Und als ginge ihr gerade ein Licht auf, fragte sie: Hat sie Geburtstag?
    Ich glaube nicht, sagte er. Nein. Ihm wurde klar, dass er gar nicht wusste, wann Della Geburtstag hatte.
    Angelene wandte den Blick nicht von den Sachen auf dem Bett.
    Ich hab bald Geburtstag, sagte sie.
    Er zögerte.
    Ich weiß, sagte er.
     
    Am nächsten Tag brachen sie frühmorgens auf und trafen am frühen Nachmittag am Bahnhof ein. Die Leute stiegen bereits in den Zug. Talmadge packte mit einer Hand seinen Leinensack und sah zu Angelene hinauf, die im Wagen sitzen geblieben war.
    Und du fährst direkt zu Caroline Middey, ja?
    Sie nickte.
    Ich möchte nicht, dass du heute noch zur Plantage zurückfährst. Das ist zu viel für einen Tag.
    Sie nickte. Dann gab sie sich einen Ruck.
    Aber du bist doch den ganzen Weg hergefahren. Wenn ich zurückfahre, ist das so, als ob ich nur eine Strecke gefahren wäre …
    Er sah sie an.
    Sie schaute auf die Straße.
    Na gut, sagte sie.
    Caroline Middey wartet auf dich.
    Gut.
    Er blieb weiter neben dem Wagen stehen. Aus den Augenwinkeln sah er die Leute in den Zug steigen.
    Beeil dich lieber, sagte sie.
    Er blickte zu ihr hoch. Er wollte ihr etwas sagen, hatte aber vergessen, was. Einen losgelösten Moment lang – und wie beängstigend war das – fiel ihm ihr Name nicht ein.
    Talmadge, sagte sie.
    Was.
    Du verpasst noch den Zug.
    Aber er verpasste ihn nicht. Er stieg ein, fand einen Platz, setzte sich und schaute zu dem Mädchen hinaus, das leicht vorgebeugt im Wagen saß und geradeaus schaute. Sie tat das für ihn, wartete um seinetwillen ab, dachte er; viel lieber wäre sie sofort losgefahren, zu Caroline Middey oder zurück zur Plantage.
    Was machst du heute?, hatte er sie gefragt, worauf sie nach kurzem Überlegen antwortete: Vielleicht gehe ich angeln.
    Im Fluss? In der Nähe der …
    Ja.
    Er nickte. Das wird sicher schön.
    Der Zug fuhr los, und sie war fort; schon bald rollte fremdes Land an ihm vorbei.

    Bei seinem letzten Gespräch mit Caroline Middey hatte er zu ihr gesagt: Sie wird später bei uns leben – nicht bald, aber später …
    Caroline Middey hatte ihn scharf angesehen.
    Vielleicht erst, wenn ich tot bin, sagte er. Sie ist diejenige – die bei dem Mädchen sein wird.
    Caroline Middey schwieg. Doch schließlich sagte sie: Und das hast du mit Della besprochen? Und mit Angelene? Sie haben zugestimmt?
    Talmadge drehte den Kopf leicht zur Seite, als hörte er jenseits des Feldes ein Geräusch. Er schnaubte leise, schwieg.
    Talmadge.
    Erst nach einer ganzen Weile sagte er: Sie sind verwandt.
    Caroline Middey rührte sich. Ich hab das Mädchen natürlich nur kurz gekannt. Gott weiß, dass ich Mitleid mit ihr habe. Sie verstummte, dachte nach, erinnerte sich. Doch wenn sie an zu vieles zurückdachte, sich zu viel in Erinnerung rief, wäre sie unfähig zu sagen, was sie sagen wollte: Jeder entscheidet für sich selbst. Du kannst sie nicht zwingen zurückzukommen.
    Talmadge sagte nichts.
    Du bist Angelenes Familie. Ich bin ihre Familie, wenn du so willst. Lass das Mädchen in Ruhe. Della, meine ich. Lass sie los. Wenn sie Schaden anrichtet, sich in Schwierigkeiten bringt, warum an ihr festhalten? Ist das die Person, die zurückkommen und sich um Angelene kümmern soll?
    Talmadge hob das Kinn, als wollte er etwas sagen, tat es aber nicht. Vielleicht wartete er darauf, dass sie ausredete. Ihn überzeugte.
    Haben die beiden sich je unterhalten? Ich meine, seit du Della wiedergefunden hast? Wollen sie zusammen sein? Will Angelene überhaupt mit ihr zusammen sein, Talmadge?
    Es spielt keine Rolle, was wir wollen, sagte er. Das Blut …
    Ach, Talmadge, sagte Caroline Middey. Der Korbstuhl knarrte, als sie sich erneut rührte. Blut! Du sprichst von Blut! Blut bedeutet nichts …

    Wenn Talmadge fort war und Angelene allein arbeitete, wurde die Plantage ihr wunderbar fremd, und sie hatte oft das Gefühl, als betrachtete sie die Dinge zum ersten Mal.
    Da waren der unablässig plätschernde Bach und der Wohnraum der Hütte, wo es nach Bienenwachs und altem Papier roch, ganz gleich, wie häufig sie lüfteten. Da war der Geruch des Schuppens, nach feuchtem Holz und Sonne. Der Geruch von Erde und Gras und weitem Wald nach einem Regenguss. Der Geruch von Maisbrot im Ofen. Die Krähen im Hof, der Mitternachtsglanz ihres Gefieders. Die nie endenden Aufgaben, klein wie